Es ist eine historische Schlappe: 100 Jahre ist es her, seit ein Speaker im US-Repräsentantenhaus nicht im ersten Wahlgang gewählt worden ist. Kevin McCarthy fehlen weiterhin Stimmen aus den eigenen Reihen.
Viele sprechen von einer Spaltung in der republikanischen Partei. Was bedeutet das für die Republikaner, und welche Folgen hat der parteiinterne Kampf für die politische Agenda der nächsten zwei Jahre? Antworten von der Amerikanistin und Politikwissenschaftlerin Claudia Brühwiler.
SRF News: Kann man von einer internen Spaltung bei den Republikanern sprechen?
Claudia Brühwiler: Der Begriff der Spaltung wird jetzt gerne herumgereicht. Doch er ist ein wenig irreführend. Er suggeriert, dass die abtrünnigen Abgeordneten einen anderen, völlig neuen Weg einschlagen möchten.
Es ist vielmehr ein Richtungsstreit, ein Grabenkampf – zwischen der Partei an sich und dem «Freedom Caucus». Diesem gehören 95 Prozent der Abtrünnigen an. Der «Freedom Caucus» bezeichnet gemeinhin den rechten Flügel der Republikaner im Abgeordnetenhaus. Ihm gehören etwa ein Fünftel aller republikanischen Abgeordneten an.
Wie konnte dieser Grabenkampf entstehen?
Ein Grabenkampf ist eigentlich immer im Gange in den amerikanischen Parteien. Jene Kämpfe, die wir in anderen politischen Systemen zwischen den Parteien sehen, werden in den USA innerhalb der Parteien ausgetragen. So etwa Konflikte zwischen Stadt und Land oder zwischen progressiven und moderaten Kräften, wie es sie bei den Demokraten gibt. Das ist etwas ganz Normales. Weniger normal ist, dass es so weit führen könnte, dass es eine Partei dermassen lähmt.
Das ist eine Entwicklung, die wir bei den Republikanern seit ungefähr 2010 mit dem Aufkommen der Tea-Party-Bewegung beobachten. Sie machte es schon dem damaligen Sprecher John Boehner sehr schwer, die eigene Partei in den Griff zu bekommen.
Die Demokraten können sich als die organisiertere, geeintere Partei zeigen – obwohl auch sie ihre eigenen Grabenkämpfe aushalten müssen.
Bis ein Speaker gewählt ist, können die neuen Abgeordneten gar nicht vereidigt werden. Dem Parlamentsbetrieb droht der Stillstand. Was genau bezweckt der «Freedom Caucus»?
Vordergründig will er vor allem, dass seine Forderungen durchgesetzt werden. Scott Perry, einer der Sprecher der Gruppe, meinte, man möchte gewisse Konzessionen vom Speaker und Garantien, dass er sich für ihre Anliegen einsetzen wird.
Die Rede ist davon, dass der Speaker bei den Vorwahlen, die bald wieder anstehen, neutral bleiben und keine Empfehlungen aussprechen soll. Die Gruppe möchte weiter, dass über eine Beschränkung der Amtszeit der Abgeordneten abgestimmt werden soll. Auch soll ein ausgeglichener Haushalt auf die politische Agenda gesetzt werden.
Grundsätzlich geht es aber um ein Misstrauen gegenüber McCarthy. Der «Freedom Caucus» sieht in ihm nicht die Art von Konservativem, der an der Spitze ihrer Partei im Abgeordnetenhaus stehen soll. Die Gruppe traut ihm nicht und betrachtet ihn als ideologisch flexibel und nicht ganz vom ehemaligen Präsidenten Donald Trump gestützt.
Können die Demokraten diesen internen Machtkampf der Republikaner für ihre eigenen Zwecke nutzen?
Die Republikaner zeigen ein Bilder der Schwäche und des internen Chaos. Das kommt den Demokraten natürlich zupass. Sie können sich als die organisiertere, geeintere Partei zeigen – obwohl auch sie ihre eigenen Grabenkämpfe aushalten müssen. Allerdings sind derzeit nicht alle Demokraten schadenfreudig gestimmt. Denn sie wissen, dass die Wahl des Speakers nur ein Vorspiel für zwei Jahre ist, die sehr schwer und anstrengend werden können. Für beide Seiten.
Das Gespräch führte Nicoletta Gueorguiev.