Seit rund 20 Jahren ist die Partei Geeintes Russland die bestimmende Kraft im russischen Parlament. Auch nach den Wahlen vom Wochenende ist sie die stärkste Partei. Was es mit der Partei auf sich hat, erklärt die Osteuropa-Expertin Petra Stykow.
SRF News: Ist das Wahlresultat für die Kreml-Partei als Erfolg zu werten?
Petra Stykow: Man könnte sagen, es ist schlecht gelaufen; nach so einem schmutzigen Wahlkampf, den erheblichen Fälschungen der Wahlergebnisse und nachdem alle aussichtsreichen oppositionellen Politiker aus dem Rennen geschubst wurden. Es sind vier Prozent weniger als das letzte Mal.
Oder man guckt andersherum darauf und sagt, alles bestens; dank dieses Verhältniswahlrechts, das fast 50 Prozent bringt und dank der dazukommenden 199 Direktkandidaten hat Geeintes Russland wieder die verfassungsändernde Mehrheit. Die Partei kann damit ihrer Aufgabe im Parlament, der Duma, weiterhin gerecht werden.
Was ist die Aufgabe im Parlament?
Geeintes Russland ist die Präsidentenpartei. Es handelt sich um ein Präsidialsystem. Eine Partei nimmt nicht an der Regierungsbildung teil, es gibt keine Parteiregierung. Aber diese Parteienmehrheit in der Duma sorgt dafür, dass die Gesetzesvorhaben des Präsidenten durchgewunken werden können. Das ist eine wichtige Aufgabe.
Präsident Wladimir Putin ist kein Parteimitglied. Gibt er faktisch den Kurs vor?
Das kann man so sagen. Man hat im Wahlkampf gesehen, wie er organisiert hat, wer für die Partei antritt. Er hat das Spitzenpersonal ausgesucht und dabei den Vorsitz der Partei, Medwedew, aussen vor gelassen. Die Partei wird von der Präsidialadministration gelenkt und gesteuert.
Die Partei wird von der Präsidialadministration gelenkt und gesteuert.
Warum ist Putin nicht Mitglied der Partei?
Der Präsident muss über den Parteien stehen. Er verkörpert die Einheit der Nation, ist der Garant ihrer Unabhängigkeit und Integrität. Es ist sehr wichtig, dass er auch bei Wahlen die überwiegende Mehrheit der Stimmen kriegt, als eine Art Vater der Nation. Eine zu enge Bindung an eine Partei ist nicht zuträglich.
Wofür steht die Partei inhaltlich?
Sie ist eine zentristische Partei. Manche sagen, sie sei eine «Allerweltspartei» ohne klare Programmatik. Es geht um soziale Sicherheit, eine gelenkte Volkswirtschaft, traditionelle Werte und Patriotismus. Es ist eine etatistische Partei. Alle oppositionellen Parteien in diesem Kartell der systemischen Opposition weichen von dieser Programmatik ein bisschen ab. Aber wir haben nicht wirklich einen Parteienwettbewerb, der stark ideologisch geprägt wäre.
Gibt es also keinen wirklichen politischen Diskurs?
Nein. Es ist kein Wettbewerb um politische Programme. Es ist ein Wettbewerb von Gruppen, die die Macht haben wollen. Wir dürfen das nicht mit einer Demokratie verwechseln. Hier geht es darum, eine Gruppe zu wählen, die irgendwas verspricht. Wir reden gern von Pyramiden, netzwerkförmigen Gruppen, die bestimmte Interessen vertreten und um die Macht kämpfen.
Es ist kein Wettbewerb um politische Programme. Es ist ein Wettbewerb von Gruppen, die die Macht haben wollen. Wir dürfen das nicht mit einer Demokratie verwechseln.
Wie sieht es in drei Jahren bei der Präsidentschaftswahl aus?
In drei Jahren geht es darum, wer die wichtigste exekutive Position im Land besetzt. Entweder tritt Putin nochmal an oder nicht. Dann wird die Aufgabe darin bestehen, einen Nachfolger zu finden, der die Interessen der jetzt herrschenden Schicht weiterhin vertritt. Es gilt zu sichern, dass er von einer erheblichen Mehrheit gewählt wird. Das ist eine Position, in der man überparteilich ist und die Nation zusammenhalten soll. Man muss eine ordentliche Mehrheit an Stimmen bekommen.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.