In fünf Wochen endet die Ära Merkel. Für das Amt bewerben sich Annalena Baerbock von den Grünen, Armin Laschet von der CDU und Olaf Scholz von der SPD. Lange sah es danach aus, als käme es bei den Wahlen zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Union und Grünen. Nun hat die SPD plötzlich kräftig aufgeholt. Dies, weil Scholz noch mit keinem Fehler ins Fadenkreuz geraten sei, sagt Politologe Gero Neugebauer.
SRF News: Wie kommt es, dass die SPD zurück im Geschäft ist?
Gero Neugebauer: Das hängt einerseits mit der Schwäche der Konkurrenz zusammen. Scholz gilt als jemand, der sich als politischer Administrator bewährt hat und dem man keine persönlichen Fehler beispielsweise durch das unvorsichtige Publizieren von Texten oder durch Lachen bei unpassender Gelegenheit vorwerfen kann. Er hat den Vorteil, dass keine personalisierte Fehlerdiskussion auf ihn abzielt.
Der Chef der bayerischen CSU hat ja immer noch den Gedanken im Hinterkopf, er könnte Laschet während des Rennens auswechseln.
Dies ist Teil einer Strategie der Entzauberung, vor allen Dingen von Baerbock. Bei Laschet ist es ein Resultat des Streits zwischen der CDU und der bayerischen CSU. Markus Söder, der Chef der CSU, hat ja immer noch den Gedanken im Hinterkopf, er könnte Laschet während des Rennens auswechseln. Nur wird das inzwischen mehrheitlich abgelehnt.
Scholz profitiert also davon, dass er nicht im Rampenlicht steht?
Richtig, er profitiert nicht von der Stärke der Partei, sondern davon, dass er beharrlich und ohne Aufregung und auch ohne Charme und Charisma seinen Job macht und dafür auch positiv bewertet wird. Dies im Gegensatz zu den beiden Kandidaten, die die Erwartungen, die in sie gesetzt worden sind, nicht erfüllen. Der Hype, der sich um Baerbock entlud nach ihrer Kandidatur, ist inzwischen vorbei. Und bei Laschet stellt man fest, dass er jemand ist, der nicht polarisieren, aber vereinen will.
Die Regierungskoalition von CDU und SPD wird kritisiert, weil sie die afghanischen Ortskräfte in Kabul nur zögerlich evakuiert. Welche Folgen hat das für den Wahlkampf?
Das ist nicht absehbar. Einerseits ist das Thema Migration für etliche Wählerinnen und Wähler wichtig. Andererseits wird hier aber auch versucht, mit dem Thema Panik zu erzeugen – unter anderem mit dem Hinweis auf das Flüchtlingsjahr 2015, obwohl heute andere Bedingungen herrschen. Es gibt zwar Einigkeit beim kleinsten gemeinsamen Nenner: Legitimierte Ortskräfte sollen kommen und bleiben dürfen. Darüber hinaus gibt es viele Differenzen. Insgesamt wird das Thema an Relevanz gewinnen, wenn die Medien sich weiter darauf konzentrieren und die Politiker sich weiter streiten. Aber es wird kein Kernthema werden.
Aus der Schweiz betrachtet hat man den Eindruck eines eher inhaltslosen Wahlkampfs. Was sind die wichtigen politischen Inhalte?
Es gibt weiterhin Themen, die die Wählerinnen und Wählern als wichtig erachten. Dazu gehören der Klimaschutz, die Renten, die Entwicklung von Wirtschaft und Arbeitsplätzen oder auch innere Sicherheit. Aber die Mehrheit des deutschen Wahlvolks ist eher konservativ. Und da Deutschland in den letzten Jahren wenig Reformen gewagt hat, gibt es hier kein Klima, das auf Veränderungen positiv vorbereitet ist.
Die SPD taumelt hin und her. Sie will besser sein als die Union, andererseits aber auch nicht weit weg von den Grünen wegen möglicher Koalitionen.
Inhaltliche Auseinandersetzungen und auch die Notwendigkeit, Alternativen aufzuzeigen, wären angesagt. Aber die Union will das nicht machen, weil sie ihre Wähler nicht erschrecken will. Die SPD taumelt hin und her. Sie will besser sein als die Union, andererseits aber auch nicht weit weg von den Grünen wegen möglicher Koalitionen. Und die Grünen machen mobil. Wie sich das auswirkt, wird man am 26. September sehen.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.