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Wahlsieger Friedrich Merz Europa erwartet viel vom neuen deutschen Kanzler

Die Erwartungen im Ausland – vor allem im europäischen – an die neue Führung in Berlin sind hoch. Seit US-Präsident Donald Trump begonnen hat, die Abrissbirne gegen die 80-jährige transatlantische Partnerschaft zu schwingen, ist Europa gefordert wie nie. Und überfordert.

Alle Augen richten sich auf Deutschland

Es fehlen eine Führungsnation und eine Führungsfigur. Der französische Präsident Emmanuel Macron ist zwar begierig, diese Rolle zu übernehmen. Doch dafür ist er innenpolitisch zu stark angeschlagen. Der britische Premierminister Keir Starmer verfügt über eine solide Parlamentsmehrheit, doch sein Land ist nicht mehr in der EU, was nun erst recht ein Nachteil ist. Alle anderen, auch Polen, Italien oder Spanien bringen nicht das nötige Gewicht auf die Waage. Also richten sich alle Augen auf Deutschland und damit auf den künftigen Bundeskanzler Friedrich Merz. Ist der mitunter schroffe Sauerländer der Herausforderung gewachsen, Europa zusammenzuschmieden und zugleich dessen Anführer zu sein?

Deutschland setzt sich auf der Weltbühne traditionell ein für Stabilität, für eine regelbasierte Weltordnung und für rechtsstaatliche Verhältnisse. Entsprechend stark engagiert es sich auch in der UNO. Dieser Einsatz wird angesichts des neuen Windes aus Washington noch wichtiger. Merz machte auf der Münchner Sicherheitskonferenz deutlich, dass er in zentralen Punkten anderer Ansicht ist als Trump und seine Getreuen.

Merz muss rasch Position beziehen

Wie mutig, wie entschlossen, wie geschickt wird der neue Kanzler für die europäischen Werte eintreten? Er muss sehr rasch Position beziehen zu heiklen sicherheitspolitischen Anliegen: Erhält die Ukraine nun den deutschen Taurus-Marschflugkörper? Merz neigt zu einer Zustimmung, damit sich die Ukraine gegen die Dauerattacken gegen ihre Zivilbevölkerung und die zivile Infrastruktur besser verteidigen kann. Führt Deutschland unter Merz die Wehrpflicht wieder ein? Das ist entscheidend, wenn es darum geht, der Ukraine zehntausenden von Soldaten aus europäischen Ländern zu ihrem Schutz an die Seite zu stellen. Wie stark sollen die deutschen Verteidigungsausgaben wachsen? Merz deutete an: auf mehr als das geltende Nato-Minimum von zwei Prozent vom Bruttoinlandprodukt. Aber auf wie viel mehr – und wie finanziert? Und schliesslich: Braucht Europa eine Diskussion über einen eigenen nuklearen Abwehrschirm? Alles dringliche und zugleich in der Bevölkerung hochumstrittene Fragen.

Friedrich Merz dürfte zumindest in Europa Vorschussvertrauen bekommen. Er ist international vernetzt, sass im EU-Parlament und in Verwaltungsräten grosser angelsächsischer Firmen. Er ist Mitglied bei Denkfabriken wie der Atlantik-Brücke oder der Trilateralen Kommission. Kreml-Sympathien sind bei ihm keine zu verorten. Er sah auch früh die Pipeline Nord Stream 2 mit Skepsis.

Merz ist ein klassischer Transatlantiker

Im Grunde ist Merz ein klassischer Transatlantiker. Fragt sich bloss, was diese Eigenschaft noch wert ist, wenn Trump von den Europäern nichts mehr wissen will. Umso ärgerlicher wäre es daher aus europäischer Perspektive, wenn sich nun in Deutschland wochenlang Koalitionsverhandlungen hinzögen und am Ende eine wacklige Dreiparteienkoalition entstünde.

Denn: Wenn Deutschland keine Schlüsselrolle spielt, scheitert die europäische Emanzipation von den USA erst recht. Und dann wird Europa zum Freiwild für China und Russland.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

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Legende: KEYSTONE/DPA/Anna Ross

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