Setzen wir uns mal auf den Bürostuhl des wohl künftigen Kanzlers Friedrich Merz. Der USM-Haller-Schreibtisch steht mittig im Raum, eine schwarz-weiss gesprenkelte Marmorplatte ist die Arbeitsfläche des 70-Jährigen. Auf dem Tisch ein Telefon, ein paar Bücher, eines davon: «Der Fluch des Imperiums: Die Ukraine, Polen und der Irrweg in der russischen Geschichte».
Alles akkurat rechtwinklig ausgerichtet. Es herrscht Ordnung. In der Hardcover-Ausgabe des Grundgesetzes daneben kleben Post-it-Zettel. Merz kennt also den Grundpfeiler der deutschen Demokratie, blättert offenbar darin. Direkt vor Merz ein Tintenfässchen, ein Bostitch. Und ein Locher.
Der Locher als Symbol für Ordnung
Ein Locher also. In Zeiten von PDF und Instagram benutzt Merz das Büro-Symbol des letzten Jahrhunderts. Tippen, lochen, abheften. Das Chefbüro also Beweis für all jene, welche Merz als Mann der Vergangenheit bezeichnen.
Doch gleichzeitig zeigen Umfragen: Eine Mehrheit der Menschen möchte Konstanz, Verlässlichkeit, Ordnung, Zusammenhalt. Und vor allem eine Regierung, die an einem Strang zieht. Am meisten macht es Kinder kaputt, wenn die Eltern ständig streiten. Warum soll es in der Familie anders sein als im Staat?
Mit wem kann Merz regieren?
Schauen wir mal ein bisschen voraus, auf die nächsten Wochen. Falls Merz' CDU wie erwartet die Wahl gewinnt, warten Mammut-Aufgaben. Merz' Kabinett muss Vertrauen zurückgewinnen. Auf europäischer Ebene stark und verlässlich agieren, das Trump-Vakuum füllen.
Die prorussischen und anti-europäischen Parteien ganz links und ganz rechts aussen bändigen. Die Wirtschaft in Gang bringen. Jede Aufgabe für sich schon gigantisch – wie und mit wem soll das gehen? Hier ein Blick auf Merz' Optionen:
1. Die grosse Koalition mit der SPD
Das wird schwierig, den Umfragen zufolge reicht es nicht oder nur sehr knapp für ein Zweier-Bündnis. Es braucht wohl einen dritten Partner. Erst recht dann, wenn es FDP und Bündnis Sahra Wagenknecht in den Bundestag schaffen.
2. Die CDU, die SPD und die Grünen
Hier ist Ärger vorprogrammiert. Die Positionen von CDU und Grünen liegen meilenweit auseinander. Ruhiges Regieren wird kaum möglich sein – und aus Bayern, von CSU-Chef und Grünen-Hasser Markus Söder, werden im Minutentakt Störfeuer kommen.
3. Die CDU, die SPD und die FDP
Wenn es die FDP tatsächlich in den Bundestag schafft, wären zumindest die innerkoalitionären Gemeinsamkeiten grösser als bei einem Bündnis mit den Grünen. Doch kann die SPD der FDP vergeben, nach der gescheiterten Ampel fast nahtlos mit Christian Lindner weiterregieren? Und wer entscheidet das, wer wird der starke Mann bei der SPD nach Scholz?
4. Eine Minderheitsregierung
Eine Option – doch die richtige für Zeiten wie diese? Die ständige Suche nach Bündnissen – immer ohne die AfD – kann zermürbend sein. Stabilität jedenfalls wird so nicht vermittelt. Realpolitik als ständiges Speed-Dating.
Merz' einzige und letzte Chance
Die Tage und Wochen nach der Wahl werden spannend fürs Publikum und herausfordernd für die Akteure. Merz weiss: Wenn er keine stabilen Verhältnisse schaffen kann, aus losen Blättern einen Regierungsordner quasi, nützt das nur der AfD, der Alternative für Deutschland. Chaos nützt den äussersten Rändern, links wie rechts. Wenn die Menschen das Vertrauen verlieren, lassen sie sich verzweifelt von vermeintlicher Stärke und zelebrierter Härte beeindrucken.
Lassen wir also den Locher als Symbol für Kontinuität und Vertrauen und auf Merz' Tisch – wenn's hilft, das Land zu ordnen, Loses zusammenzuhalten.