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Bundestagswahl in Deutschland «Die Kandidaten sind diesmal nicht sehr wählerwirksam»

Fast ein Drittel aller Wählerinnen und Wähler ist wenige Tage vor der Bundestagswahl in Deutschland noch unentschlossen, wie eine repräsentative Umfrage des Senders ZDF zeigt. Warum die Wahlentscheidung so schwierig ist für sie, sagt Uwe Jun. Er ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier.

Uwe Jun

Professor für Westliche Regierungssysteme an der Uni Trier/D

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Uwe Jun ist Inhaber des Lehrstuhls für Westliche Regierungsysteme an der Uni Trier. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Parteienforschung, vergleichende Parlamentarismusforschung, Föderalismus, politische Kommunikation und die Koalitionsforschung.

SRF News: Warum haben so viele Menschen in Deutschland Mühe zu entscheiden, wen sie wählen wollen?

Uwe Jun: Der Hauptgrund liegt darin, dass viele Wählerinnen und Wähler kaum Parteibindungen haben. Daher werden kurzfristige Faktoren wie Themen und Kandidierende wirksam.

Erstmals seit 1994, haben wir allesamt Kandidatinnen und Kandidaten, die bei den Wählern nicht besonders gut ankommen.

Die Kandidaten sind allerdings diesmal auch nicht sehr wählerwirksam. Erstmals seit längerer Zeit im deutschen Bundestagswahlkampf, seit 1994, haben wir allesamt Kandidatinnen und Kandidaten, die bei den Wählern nicht besonders gut ankommen. Somit werden die Themen am Ende entscheidend sein. Die Präferenzen werden erst in der Schlussphase festgelegt.

Sind es Personen, die tatsächlich Schwierigkeiten haben, sich zu entscheiden oder sind es vor allem sogenannte Wahlmuffel?

Sowohl als auch. In der Tat gibt es auch diejenigen, die sich aus den verschiedensten Gründen nicht an Wahlen beteiligen. Die Nichtwählergruppe betrug in Deutschland bei den letzten Wahlen um die 25 Prozent. Das sind diejenigen, die häufig wenig Interesse an Politik haben und meinen, mit ihrer Stimme wenig bewirken zu können. Sie vertreten das Motto: Die da oben machen doch, was sie wollen. Meistens sind das Menschen, die in sozial prekäreren Situationen leben. Sie haben beispielsweise ein geringeres Haushaltsnettoeinkommen und auch geringe formale Bildung.

Vertreter der vier grossen Parteien in einem TVG.Studio
Legende: Nicht nur für Wahlmuffel scheint es diesmal schwierig, sich zu entscheiden. Keystone/Michael Kappeler

Die Beliebtheit der Spitzenkandidatinnen und -kandidaten scheint diesmal begrenzt. Welche Rolle spielen die einzelnen Persönlichkeiten?

In der Vergangenheit war es so, dass bei der flexiblen Mitte – und das sind eben die Spätentscheider – die Persönlichkeiten eine fast entscheidende Rolle gespielt haben.

Diesmal schafft es keiner der Kanzlerkandidaten oder die Kandidatin, die flexible Mitte für sich zu begeistern.

Angela Merkel war sehr wählerwirksam bei der flexiblen Mitte, und beim letzten Mal ist es auch Olaf Scholz gelungen, diese flexible Mitte für sich zu gewinnen. Diesmal schafft es eben keiner der Kanzlerkandidaten oder die Kandidatin, diese flexible Mitte in irgendeiner Weise für sich zu begeistern.

Was unterscheidet die beiden Wählergruppen voneinander?

Die erste Gruppe sind diejenigen, die bereits eine Wahlentscheidung getroffen haben. Sie verfügen über Parteibindungen oder sind bei einem Thema schon klar festgelegt. Da sind viele Stammwähler dabei, aber durchaus auch wechselbereite Wähler, die sich aufgrund der Polarisierung im Wahlkampf entschieden haben. Die zweite Gruppe hat geringere Parteibindungen oder gar keine. Sie neigen auch zur Nichtwahl, sind zum Teil auch Gelegenheitswähler und entscheiden sich spontaner, sind flexibler in ihrem Wahlverhalten, und entscheiden häufiger Kandidaten- orientiert.

Weil auch für die Bevölkerung wichtige Themen berührt worden sind, rechne ich damit, dass sich die meisten am Sonntag doch noch zur Stimmabgabe bewegen werden.

Wie viele werden sich doch noch kurzfristig entscheiden?

Ich rechne eher mit einer relativ hohen Wahlbeteiligung. Wir hatten schon in den letzten Jahren leicht ansteigende Wahlbeteiligungen, sodass ich davon ausgehe, dass wir die Zahl von 2021 mindestens wieder erreichen, wenn nicht sogar übertreffen. Weil diese Wahlkampf­auseinander­setzungen hart geführt wurden und weil auch für die Bevölkerung wichtigen Themen berührt worden sind, rechne ich damit, dass sich die meisten am Sonntag doch noch zur Stimmabgabe bewegen werden.

Das Gespräch führte Oliver Kerrison.
                

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Legende: KEYSTONE/DPA/Anna Ross

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SRF 4 News, 21.02.2025, 06:10 Uhr ; 

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