Kurz vor der Bundestagswahl ist Deutschland aufgewühlt wie selten zuvor. Nicht nur wegen all der Anschläge in den letzten Monaten. Generell hat sich die politische Debatte verschärft. Wie tief sind die Gräben in Politik und Gesellschaft? SRF-Deutschland-Korrespondentin Simone Fatzer gibt Antworten.
Inwiefern ist die Debatte in der Politik schärfer geworden?
Sie hat sich deutlich verschärft. Das hat aktuell vor allem mit dem Wahlkampf zu tun. Aber die Atmosphäre im Bundestag hat sich in den letzten Jahren generell verändert. Es ist viel lauter und schriller geworden. Die Reden sind härter, man spürt Häme und Diskriminierung. Und es gibt deshalb auch sehr viel mehr Verwarnungen im Bundestag.
Was sind die Gründe dafür?
Ein wesentlicher Faktor ist der Einzug der AfD in den Bundestag im Jahr 2017. Man sieht, wie ein Teil dieser Fraktion schon fast pöbelt, sehr oft gibt es laute Zwischenrufe. Das empfinde nicht nur ich so, sondern zum Beispiel auch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Sie greift ein, wenn die Debatte ausartet und erteilt Ordnungsrufe. Und das sind weitaus mehr als früher. Die meisten davon gehen an die Adresse der Alternative für Deutschland. Die anderen Parteien waren über das Verhalten der AfD anfänglich wohl noch etwas irritiert und sind eher ruhig geblieben. In der letzten Zeit gab es aber ein gegenseitiges Aufschaukeln.
Zeigt sich die Polarisierung auch in der deutschen Gesellschaft?
Ja. Diese veränderte Debatte, diese Häme und ganze Emotionalisierung kann man auch in der Gesellschaft beobachten, gerade jetzt auch im Wahlkampf. Die Leute wollen gar nicht mehr diskutieren, die knallen den Parteivertretern einfach ihre Meinung an den Kopf. Das hat auch mit den Sozialen Medien zu tun, wo ungefiltert Hass und Hetze stattfinden.
Welche Gründe gibt es für diese Polarisierung?
Ein wichtiger Grund ist die Politik unter der letzten Kanzlerin Angela Merkel, die die CDU in ihren 16 Jahren Amtszeit stärker in die Mitte geführt hat. Diese Verschiebung war erfolgreich, sie hat aber auch dazu geführt, dass der konservative Flügel der Partei an Einfluss verloren hat. Das hat der AfD Raum gegeben, sich dort zu positionieren und zu etablieren. Besonders die Flüchtlingskrise 2015/16 hat der AfD erheblichen Auftrieb gegeben.
Ein weiterer Grund für die Polarisierung sind die Fehler der aktuellen Ampelregierung. Sie musste mit vielen Krisen klarkommen – Ukrainekrieg, Inflation und so weiter. Die Fehler haben das Vertrauen in die Regierung geschwächt und die gesellschaftlichen Spannungen verstärkt. Eine echte Zäsur war auch die Pandemie. Sie wird als Ursprung der Enthemmung der Debatte gesehen. Da hatten verschiedene wütende Gruppierungen auf der Strasse zueinander gefunden. Sie haben Aggression, Hass und Hetze in der Gesellschaft verstärkt und die Debatte weiter angeheizt.
Wie lassen sich die Gräben wieder kitten?
Wenn wir sehen, dass die Sorgen der Menschen die Treiber von Polarisierung sind, dann müsste es eigentlich etwas bewirken, wenn die neue Regierung dem Ganzen etwas Positives entgegensetzen kann. Sprich, dass alle am gleichen Strick ziehen würden, Brücken bauen und so diesem Negativen einen positiven Twist entgegensetzen. Die breite Gesellschaft will auch echte Veränderung sehen, Taten statt Worte. Und ganz wichtig: Man müsste langfristig bei der Bildung ansetzen. Da zu investieren, würde sich lohnen. Es geht nicht nur um politische Bildung. Deutschland fehlt es auch an echter Chancengleichheit und das liegt mit am Bildungssystem.