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Wahlwiederholung in Rumänien Rumänien als Lehrstück über demokratische Verwundbarkeit

Zurück auf Feld eins: Nach einer turbulenten, atemlosen Woche in Rumänien hat das Verfassungsgericht die erste Runde der Präsidentschaftswahlen annulliert. Grundlage dafür sind die Geheimdienstinformationen, die der rumänische Präsident am Mittwochabend öffentlich gemacht hatte.

Die Geheimdienste bestätigen: Der Extremist und Esoteriker Calin Georgescu hat in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen von einer Kampagne auf Tiktok profitiert, die von einem staatlichen Akteur koordiniert wurde und russischen Einflussoperationen in der Ukraine und Moldau ähnlich war. Zudem steckt Russland laut den Informationen hinter Cyberangriffen auf die rumänische Wahlinfrastruktur. Ausserdem ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Georgescu. Wann die neuen zwei Wahlgänge stattfinden werden, ist unklar.

Georgescu zwischen Gegenwehr und Widersprüchen

Trotz dieser Erkenntnisse vergingen Tage, in denen der Wahlkampf weiterging. Georgescu wies die Informationen der Geheimdienste zurück: Diese verbreiteten Lügen und hätten Angst vor ihm. Er arbeite allein mit Gott und für das rumänische Volk. Er wisse nichts von russischer Unterstützung. Gleichzeitig gab er Stellungnahmen zu EU und Nato und zu den rumänischen Faschisten der Zwischenkriegszeit ab, die früheren Aussagen widersprachen. Und er verwirrte das Publikum mit Aussagen über die Nutzlosigkeit von Schönheitssalons oder darüber, dass im Getränk Pepsi Mikrochips enthalten seien.

Die prowestliche liberale Kandidatin Elena Lasconi absolvierte derweil nicht nur zahlreiche Fernsehinterviews, in denen sie mahnte, den proeuropäischen Kurs des Landes nicht zu gefährden, sie sprach auch per Video mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und erhielt einen Unterstützungsbesuch der moldauischen Präsidentin Maia Sandu. Beide Frauen versprachen, gegen russische Propaganda zu kämpfen.

Nationale Strassenproteste und internationale Reaktionen

Wiederholt kam es zu Strassenprotesten – für Europa und gegen russische Einmischung, so etwa gestern Abend im Zentrum von Bukarest. Heute Morgen begann im Ausland bereits der zweite Wahlgang in der Diaspora, etwa 33’000 Menschen haben in der Stichwahl zwischen Georgescu und Lasconi bereits abgestimmt.

Doch erst dann zog das Verfassungsgericht die Notbremse. Sogleich hagelte es Reaktionen. Der Rechtspopulist George Simion, der den Extremisten Georgescu unterstützt, sprach von einem Staatsstreich, rief aber zur Ruhe auf. Elena Lasconi kritisierte die Wahlwiederholung ebenfalls, der rumänische Staat habe die Demokratie mit Füssen getreten. Sie ist der Überzeugung, Georgescu müsse an den Urnen besiegt werden. Der Chef der mächtigen postkommunistischen Sozialdemokraten sprach hingegen von der «einzig richtigen Lösung». Georgescu selber hat sich noch nicht geäussert.

Demokratische Verwundbarkeit

Was all dies für die rumänische Demokratie und die Stabilität im Land bedeutet, ist noch unklar. Viele der rund zwei Millionen Wählerinnen und Wähler, die für Georgescu gestimmt haben, werden sich wohl betrogen fühlen: von den rumänischen Behörden, manche vielleicht auch von Russland und von Georgescu selbst. Was aber sicher ist: Es ist ein Lehrstück darüber, wie schnell und vergleichbar einfach ein Land durch ausländische Einmischung in eine tiefe Krise gestürzt werden kann.

Judith Huber

Osteuropa-Korrespondentin

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Vor ihrer Tätigkeit als Osteuropa-Korrespondentin war Judith Huber als Auslandredaktorin tätig. Sie war zudem jahrelang Produzentin der Sendung «Echo der Zeit» von Schweizer Radio SRF. Judith Huber ist spezialisiert auf die Länder der ehemaligen Sowjetunion und ist Sonderkorrespondentin für die Ukraine.

Echo der Zeit, 06.12.2024, 18 Uhr

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