Wie lange geht das noch so weiter mit der Pandemie? Die Antwort darauf hängt stark davon ab, wie viel Wandlungsfähigkeit dem Coronavirus noch zuzutrauen ist. Nach 18 Monaten Pandemie antwortet Virenforscherin Emma Hodcroft von der Universität Bern: Schwer zu sagen. Denn 18 Monate sind evolutionsbiologisch betrachtet ziemlich kurz.
«Sars-CoV-2 ist gerade erst in seinem neuen Wirt, dem Menschen, angekommen», sagt Hodcroft. Man wisse noch nicht, ob das Virus schon die «beste Version seiner selbst» gefunden habe. Die Version, die menschliche Zellen perfekt infiziere, perfekt zum nächsten Menschen weitergetragen werde und das menschliche Immunsystem umgehen könne.
Omikron – ein grosser Sprung
Darauf folgt die Frage, was das Virus bisher an relevanten Varianten hervorgebracht hat. «Innerhalb der Varianten, die wir bislang hatten, gab es eine eher graduelle Evolution. Dann gab es immer wieder kleine Sprünge. Das waren die alten, als besorgniserregend eingestuften Varianten: Alpha, Beta, Gamma, Delta», sagt Richard Neher von der Universität Basel.
Alpha bis Delta, vier besorgniserregende, also relevante Varianten. Das war der Stand bis vor einem Monat. Alle vier trugen eher kleine Veränderungen bezogen auf die Ursprungsversion. Alpha und Delta waren vor allem ansteckender, Beta und Gamma schon etwas immunevasiv, das heisst: Sie konnten die erworbene Immunität nach Infektion oder Impfung ein Stück weit umgehen.
Die Schwere der Erkrankung hängt auf diesen kurzen Zeitskalen sehr viel mehr vom Wirt und seiner immunologischen Geschichte ab als von den Varianten des Virus.
«Jetzt haben wir nicht nur einen kleinen Hüpfer gehabt, sondern einen Riesensatz», erklärt Neher. Er meint die Variante Omikron, die mehrere Dutzend Mutationen trägt. Sie ist ganz anders als alle davor. Mit Folgen: Bis vor einem Monat konnte man hoffen, dass das Coronavirus vielleicht gar keine wirklich gute Immunevasion zustande bringt – also die Fähigkeit, bestehende Immunität auszuhebeln.
Beta und Gamma hatten eine leichte Immunevasion, aber in der ersten Hälfte 2021 brachte das dem Virus kaum einen Vorteil. Delta, die Variante, die viel ansteckender war als alle anderen, setzte sich durch und wurde weltweit dominant.
In der Welt von heute mit sehr vielen Immunen hätten Gamma und Beta womöglich eine Chance gehabt. «Wir haben erst jetzt eine mehr oder weniger flächendeckende Immunität. In manchen Regionen durch Impfung, in anderen durch Primärinfektionen. Damit verändert sich die Selektionslandschaft», sagt Neher.
Das heisst: Jetzt erst bringt es dem Virus echte Vorteile, wenn es schon einmal Infizierte oder Geimpfte noch einmal anstecken kann, weil es erst jetzt wirklich viele davon gibt. Und Omikron zeigt: Corona beherrscht die Immunflucht – ziemlich gut sogar.
Jahr für Jahr passen sie sich an. Das menschliche Immunsystem lernt dazu. Wieder passen sich die Viren an. Und wieder von vorn. Es ist wie ein Tanz, ein Gleichgewicht, das sich immer wieder neu auspendelt.
Grippeviren und Erkältungs-Coronaviren zirkulieren seit Jahrzehnten, seit Jahrhunderten im Menschen. Emma Hodcroft sagt: «Jahr für Jahr passen sie sich an. Das menschliche Immunsystem lernt dazu. Wieder passen sich die Viren an. Und wieder von vorn. Es ist wie ein Tanz, ein Gleichgewicht, das sich immer wieder neu auspendelt.»
Der Newcomer Sars-CoV-2 schien zunächst nur wenige Tanzschritte zu beherrschen. Omikron zeigt, dass man dem Newcomer doch mehr zutrauen muss. Gleichzeitig nimmt die Immunität aufseiten der Menschen zu. Das ist für den Moment gar nicht so unwichtig, sagt Neher: «Die Schwere der Erkrankung hängt auf diesen kurzen Zeitskalen sehr viel mehr vom Wirt und seiner immunologischen Geschichte ab als von den Varianten des Virus.»
Das Virus wird bleiben. Nach Omikron werden noch neue Varianten kommen. Ob sie viele schwer krank machen oder nicht, hängt nicht zuletzt vom erwähnten Tanz ab.