Facebook weist die Anschuldigungen einer ehemaligen Mitarbeiterin zurück, der Konzern setze die Gewinnmaximierung über das Wohl der Nutzerinnen und Nutzer. Das zu beurteilen sei schwierig, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Sina Blassnig. Klar sei aber, dass Facebook mit der Herausgabe von Daten zu Forschungszwecken überaus zurückhaltend sei.
SRF News: Wie schätzen Sie die Vorwürfe ein, welche die Whistleblowerin Frances Haugen vor einem Ausschuss des US-Senats vorbrachte?
Sina Blassnig: Es sind in der Tat happige Vorwürfe – doch sie überraschen mich nicht. Dass negative Inhalte stärker geteilt werden, dass Desinformation oder emotionale Inhalte zu hohem Engagement oder dass Kanäle wie Instagram bei jungen Frauen zu einem negativeren Selbstwertgefühl führen können, deckt sich mit unseren Forschungsergebnissen.
Es ist nicht überraschend, wenn Facebook den Profit priorisiert.
Es stellt sich aber die Frage, wie bewusst sich Facebook dieser Probleme ist. Klar ist: Facebook ist ein profitorientiertes Unternehmen. Da ist es auch nicht überraschend, wenn der Konzern den Profit priorisiert.
Facebook soll laut Haugen die Ergebnisse interner Studien ignoriert haben. Welchen Zugang hat die Wissenschaft zu Facebooks Daten?
Seit dem Skandal um Cambridge Analytica hat sich der Zugang zu Daten verschlechtert. Facebook macht dafür den Datenschutz verantwortlich. Zwar schreibt der Konzern immer wieder wissenschaftliche Projekte aus und verspricht dafür grosse Datenmengen, doch hält die Zusage oft nicht ein. So erhalten wir Wissenschaftlerinnen die Daten am Ende dann doch nicht – oder nicht so detailliert, damit wir Aussagen dazu machen können.
Facebook-Kritiker vergleichen den Konzern in seinem Verhalten mit der Tabakindustrie. Ist der Vergleich legitim?
Es gibt durchaus Parallelen. Beim Tabak konnte die medizinische Wissenschaft aber immerhin unabhängige Forschung betreiben – im Gegensatz zum Fall Facebook, wo oft die Daten fehlen, um zu untersuchen, ob das Produkt tatsächlich schädlich ist.
Es gibt bislang keinen Beweis der Schädlichkeit von Facebook.
Auch anderswo, wie etwa in der Geldspiel-Industrie, kommt ein Konsumentenschutz zum Zug, der einschreitet, wenn man feststellt, dass ein Produkt schädlich ist. Weil bei Facebook aber die Grundlagenforschung fehlt, gibt es bislang keinen Beweis der Schädlichkeit.
Facebook weist die Anschuldigungen zurück und sagt, sie seien «unlogisch». Wie beurteilen Sie die Kommunikationsstrategie von Facebook?
Facebook verhält sich sehr defensiv, geht nicht auf solche Vorwürfe ein oder ignoriert sie. Es könnte dies auch ein Zeichen dafür sein, dass gewisse Befürchtungen bestehen, der Konzern könnte die besten Tage hinter sich haben. Mittelfristig wäre eine offenere und transparentere Kommunikation für Facebook aber wohl günstiger.
Die EU hat mit der Datenschutz-Grundverordnung gezeigt, dass gewisse Regulierungen durchaus möglich sind.
Bei der Tabakindustrie ist der Staat massiv eingeschritten: mit Steuern, Werbeverboten und Gesundheitsvorschriften. Wird das auch bei den sozialen Medien bald geschehen?
Das wäre jedenfalls sehr wichtig: die Konzerne haben inzwischen Monopolstellungen inne und auch gesamtgesellschaftlich eine grosse Bedeutung. Einschränkungen werden umso realistischer, je mehr Leaks passieren und negative Auswirkungen nach aussen dringen. Allerdings sind diese Unternehmen global tätig und jedes Land hat eigene Vorschriften. Gerade in den USA scheinen mir Einschränkungen für Facebook & Co. wenig realistisch. Die EU dagegen hat mit der Datenschutz-Grundverordnung gezeigt, dass gewisse Regulierungen durchaus möglich sind.
Das Gespräch führte Roger Aebli.