Von einem Sommer zum anderen hat sich der Ozean für Sutton Lynch verändert. Vom kilometerlangen Strand aus, an dem er seit seiner Kindheit jeden Sommer verbracht und das Wasser beobachtet hatte, sah er plötzlich eine andere Welt.
Wale aus der Nähe beobachten
«Wir haben nie Buckelwale, Delfine, Thunfische oder ähnliches vom Strand aus gesehen bis im Jahr 2019», erzählt er. «Da gab es plötzlich diesen drastischen Wandel, dass man einem Buckelwal nur 70 Meter entfernt zusehen konnte, wie er Beutefische verschlingt. Ich sah Kreaturen, von denen ich nicht wusste, dass es sie in New York gibt.»
Die Sonne geht erst gerade auf, als Lynch über den idyllischen Strand stapft. Er klappt einen kleinen Stuhl auf und packt die Drohne aus, schickt sie über das Wasser. Über Jahre arbeitete er als Rettungsschwimmer an den Stränden der Hamptons auf Long Island. Doch nun sucht er das Wasser nicht nach Menschen ab, sondern nach Meerestieren.
Wale und Haie folgen den Beutefischen
«Es ist ein so wunderschöner Ort. Ich fühlte mich immer damit verbunden, besonders mit dem Strand», erklärt Lynch. Deshalb wollte er herausfinden, was hinter dem Wandel der Meeresfauna steckt. Fast jeden Morgen sitzt er hier. Um Wale, Haie und andere grosse Meerestiere zu finden, sucht Lynch mit der Drohne das Wasser nach Schwärmen von Beutefischen ab, genauer nach Menhaden.
Die nährstoffreichen Fischchen sind überlebenswichtige Nahrung für viele grosse Fische, Delfine und Wale. Sie sind unverzichtbare Grundlage der Nahrungskette im Atlantik. Lynch dokumentiert, wie Buckelwale mit weit geöffnetem Schlund aus dem Wasser springen, und riesige Mengen Wasser mit Fischen verschlingen.
Massnahmen gegen Überfischung haben gewirkt
Doch Menhaden werden auch mit riesigen Netzen gefischt und etwa zu Futter für Zuchtlachs oder für Haustiere verarbeitet. Vor fünf Jahren verbot der Bundesstaat New York solche Fischmethoden (sogenannte Ringwadenfischerei) mit riesigen Netzen in Küstennähe.
Das war entscheidend für die Rückkehr der grossen Meerestiere, sagt Jaclyn Higgins von der Organisation Theodore Roosevelt Conservation Partnership. «Seit einigen Jahren haben mehrere Bundesstaaten am Atlantik den Naturschutz und die intakten Ökosysteme gestärkt. Und dafür weniger kommerzielle Nutzung in Küstennähe erlaubt», erklärt sie. «Deswegen kommen Tiere, die kleine Fische jagen, wieder mehr in Küstennähe, wo sie bereits vor 50 Jahren waren. Etwas, was wir fast vergessen haben, weil es eine Gegend mit so vielen Städten ist.» Bereits zuvor, im Jahr 2012, hatte die «Atlantic States Marine Fisheries Commission» Fangbeschränkungen für Menhaden verabschiedet.
Die Hamptons in Long Island sind vielen bekannt als exklusives Rückzugsgebiet für die Reichen und Berühmten, für riesige Villen am Meer. Als Sutton Lynch durch die exklusive Gegend fährt, ist er nur ein wenig überrascht, als der weltberühmte Rapper Jay-Z vorbeispaziert. Doch wie viele Einheimische verzichtet er darauf, Prominente anzusprechen.
Nicht weit davon entfernt hat Sutton Lynch in einer umgebauten Garage ein kleines Studio eingerichtet, wo er seine Videos und Fotos verarbeitet und ausstellt. Auch in den Sozialen Medien berichtet er über die Meeresfauna vor Long Island. «Mein Ziel in diesem Sommer ist es, neue Tierarten zu finden, das Bild des Ökosystems zu vollenden. Ich möchte, dass die Leute verstehen, wie vielfältig das Meer vor New York ist. Von den meisten Kreaturen wusste ich nicht, dass es sie gibt, erst recht nicht in dem Wasser, in dem ich schwamm, wenige Meter vom Ufer entfernt», sagt er.
Das Ökosystem bleibt verletzlich
Sutton Lynch hat Schwärme von Rochen gefilmt, die wie Vogelschwärme in geometrischen Formationen schwimmen. Oder Spinnerhaie, die aus dem Wasser springen oder Fische bis ans Ufer treiben, um sie zu jagen. Auch einen jungen Weissen Hai entdeckte er mit seiner Drohne, Hammerhaie und Thunfische.
Doch das Nahrungsangebot für die grossen Jäger bleibt fragil. Südlich von New York, in Virginia, gilt das Küstenfangverbot für Menhaden nicht. Und andere Beutefische sind bereits verschwunden. «Viele dieser Arten sind überfischt. Man findet keine Heringe oder Makrelen im Ozean. Das verringert das Nahrungsangebot besonders im mittleren und nördlichen Atlantik», erklärt Higgins. Ihre Organisation vertritt Sport- und Hobbyfischer, die an intakten Fischbeständen interessiert sind. Sie setzt sich für Schutzmassnahmen und Forschung zum Fischbestand ein. Gemäss der Organisation gibt es aufgrund des Klimawandels vermehrt grosse Menhaden-Schwärme an der nördlichen Atlantikküste der USA. Demnach jagen Buckelwale auch im Norden vermehrt Menhaden, weil sie sonst nichts zu fressen finden.
Mit Kunst Bewusstsein für Natur wecken
Sutton Lynch will mit seiner Kunst aufklären und mithelfen, dass die grossen Meerestiere hier weiterhin einen Lebensraum und eine Nahrungsgrundlage finden. Ihre Rückkehr vor New Yorks Küste ist für ihn eine seltene positive Nachricht in der oft von negativen Schlagzeilen geprägten Welt. «Ich möchte, dass andere Menschen verstehen, dass wir Probleme, die wir verursacht haben, lösen können.»
«Der Grund, weswegen diese Tiere nicht mehr hier waren, war Überfischung», sagt er. «Wir müssen uns bewusst sein, dass wir etwas bewirken können.» Was vor New Yorks Küsten gelingen könne, das gelte auch für die Welt. So sieht er die Rückkehr der Meerestiere als Inspiration über Long Island hinaus.