Viele Tote bei Studentenprotesten: Nach Zusammenstössen zwischen Demonstranten und der Polizei bei Studentenprotesten in Bangladesch setzt die Regierung nun landesweit die Armee ein. Das teilte das Militär mit. Seit dem Beginn der Gewalt am Dienstag seien mehr als 100 Menschen bei den Protesten gestorben – allein am Freitag mindestens 56, berichtete BBC Bangla unter anderem unter Berufung auf die Tageszeitungen «Prothom Alo» und «The Daily Star». Offiziell bestätigt wurden die Opferzahlen nicht. Die US-Botschaft in Bangladesch sprach von Hunderten bis zu Tausenden Verletzten.
Das Comeback der Quote: Die Demonstrationen richten sich gegen die Wiedereinführung eines alten Quotensystems, wonach mehr als die Hälfte der Jobs im öffentlichen Dienst für bestimmte Gruppen reserviert sind – etwa für Nachkommen von Soldaten, die 1971 für die Unabhängigkeit des Landes kämpften, für Frauen sowie Menschen aus armen Gegenden. Tausende junge Menschen fordern stattdessen auf der Strasse ein System, das mehr auf Leistung setzt. In dem Land mit mehr als 170 Millionen Einwohnern herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit.
Die Bewegung ist so gross, sie wird sich kaum stoppen lassen.
Die Positionen: Hasina und ihre Anhänger setzen sich für die Beibehaltung des alten Systems ein. Die Demonstrierenden prangern an, dass gezielt Gruppen gefördert würden, die die Regierung unterstützen. «Die Studierenden empfinden das Quotensystem als zutiefst ungerecht», erklärt Peter Hornung, Südasien-Korrespondent der ARD. Gegen die Förderung von Frauen sowie Menschen aus ärmeren Schichten würden sich die Proteste aber nicht richten.
Höchstes Gericht sistiert Pläne: Die Demonstrationen begannen an Hochschulen im ganzen Land, nachdem das Höchste Gericht die Wiedereinführung des alten Quotensystems angeordnet hatte, das im Jahr 2018 nach massiven Protesten abgeschafft worden war. Das Gericht ordnete kürzlich an, die Regelung vorerst auszusetzen. Das Moratorium hat wenig zur Beruhigung der Lage beigetragen.
Kritik an historischen Privilegien: Nach der Spaltung Indiens 1947 bestand Pakistan aus Ost- und Westpakistan. Im Krieg um einen eigenständigen Staat auf dem Territorium Ostpakistans sind bis zu sechs Millionen Menschen umgekommen. 1971 erlangte das heutige Bangladesch seine Unabhängigkeit. Der Gründungsmythos widerspiegelte sich jahrzehntelang in Jobvergabe an Freiheitskämpfer und deren Nachkommen. Unter nachfolgenden Generationen sorgte dies zunehmend für Unmut.
Zumal der Altersmedian 25.9 Jahre beträgt. Der Grossteil kennt den Unabhängigkeitskrieg also nur aus Erzählungen. Die grassierende Korruption befeuert den Protest zusätzlich: Laut ARD-Korrespondent Hornung gibt es im Land einen regen Handel mit Zertifikaten, die Menschen als Nachkommen von Freiheitskämpfern ausweisen.
Beamte haben ausgesorgt: Die Regierungsposten in Bangladesch sind heiss begehrt. «Sie sind eine Garantie für ein lebenslanges Auskommen für einen selbst und die ganze Familie», berichtet Hornung. Auf eine Stelle kommen durchschnittlich 130 Bewerberinnen und Bewerber. Die Wiedereinführung des Quotensystems würde den Wettbewerb noch einmal deutlich verschärfen.