- Die Zahl der Ladendiebstähle im Vereinigten Königreich ist gewaltig gestiegen, auch Mitarbeitende werden attackiert.
- Die Branche macht hauptsächlich höhere Lebenskosten für die Zunahme an Diebstählen verantwortlich.
- Kleinere Läden und grosse Unternehmen kritisieren geringe Strafen und mangelnde Polizeiarbeit.
- Grosse Einzelhandelsketten greifen zur Selbsthilfe und wollen nun die Ermittlungen der Polizei finanzieren.
«Es gibt Mütter, die Waren in Kinderwagen stecken, es gibt Rentner, Kinder und Teenager auf Rädern», erklärt Ladenbesitzer Benedict Selvaratnam gegenüber BBC. Die Diebe würden immer dreister und aggressiver – und sie kämen aus allen Gesellschaftsschichten. Selvaratnam besitzt einen kleinen Supermarkt in Südlondon. Bis zu neun Ladendiebstähle am Tag habe er gezählt.
Ähnlich wie Selvaratnam geht es nicht nur vielen Inhabern von kleinen Läden, die ihre Stadtquartiere mit Lebensmitteln und anderen Waren des täglichen Gebrauchs versorgen. Auch die grossen Einzelhandelsketten in Grossbritannien beklagen eine deutliche Zunahme von Diebstählen. Die Chefin eines Kaufhausbetreibers sprach jüngst von einer «Epidemie», die Zeitung «Mirror» nannte 2023 «das Jahr der Ladendiebe».
Höhere Lebenskosten und Tiktok-Fame als mögliche Gründe
Die Branche macht in erster Linie gestiegene Lebenskosten für die zunehmenden Diebstähle verantwortlich. Zuvor seien in erster Linie teure Gegenstände gestohlen worden, sagt der Präsident des Verbands Federation of Independent Retailers (NFRN). Nun würden häufiger Alltagsprodukte geklaut.
Es ist schlimmer als je zuvor.
Auch moderne Phänomene spielen eine Rolle. So gebe es immer mehr Jugendliche, die sich beim Stehlen filmen und die Clips auf Plattformen wie Tiktok hochladen – andere ahmen das nach. «Es ist schlimmer als je zuvor», sagt der Handelsexperte Scott Dixon dem «Mirror».
Beleidigungen und sogar Attacken von Mitarbeitenden nähmen zu, zitierte die Nachrichtenagentur PA den NFRN-Verbandschef Muntazir Dipot. Dutzende Eigentümer hätten zuletzt aufgegeben, vor allem Frauen würden sich nicht mehr trauen, allein in den Shops zu arbeiten.
Wir brauchen eine stärkere Polizeipräsenz, vor allem abends.
Besitzer Selvaratnam hat eine Glasscheibe an seiner Theke anbringen lassen, um Kassierer zu schützen, sowie Dutzende Überwachungskameras installiert. Aber das reiche immer noch nicht aus. «Wir brauchen eine stärkere Polizeipräsenz, vor allem abends», sagt Selvaratnam.
Kleine Läden und grosse Unternehmen klagen gleichermassen über laxe Strafen. Denn wer Ware im Wert von maximal 222 Franken (200 Pfund) stiehlt, kommt in aller Regel mit einer geringen Geldstrafe davon. «Ladendiebstahl wurde faktisch entkriminalisiert», sagt Handelsexperte Dixon.
Nun kommt es zu bezahlten Ermittlungen
Grosse Einzelhandelsketten wie Sainsbury's, Tesco oder Waitrose greifen auf eigene Kosten zur Selbsthilfe. Sie haben bereits verdeckte Ermittelnde eingestellt und Mitarbeitende mit Körperkameras ausgerüstet. Nun wollen sie diese Ermittlungen auch finanzieren. Insgesamt zehn Konzerne bezahlen umgerechnet 669'240 Franken. Im Gegenzug lassen die Ermittelnden die Aufnahmen von Überwachungskameras durch ihre Datenbanken laufen.
Die Polizei erhofft sich dadurch erstmals einen Überblick über die im Land operierenden Diebesbanden – und das, so sagt der zuständige Staatssekretär Chris Philp, werde allen Ladenbesitzern zugutekommen.
Ladenbesitzer Selvaratnam ist nicht überzeugt. Er hat schon mehrmals überlegt zu verkaufen, doch noch war kein Angebot hoch genug, um seine Investitionen zu decken.