Im südamerikanischen Land Chile gilt immer noch die Verfassung aus der Zeit der Diktatur von Augusto Pinochet. Ein erster Versuch, das zu ändern, scheiterte letztes Jahr.
Nun nimmt das Land einen zweiten Anlauf: Am Sonntag haben die Chileninnen und Chilenen einen neuen 50-köpfigen Verfassungsrat gewählt.
«Diese Abstimmung ist sehr wichtig, hoffentlich sind sich die Leute der Verantwortung bewusst. Es geht um unsere Zukunft», erklärt eine ältere Frau in einem Wahllokal in Santiago.
Demokratiepolitisches Experiment
Dass sich ein Land eine neue Verfassung gibt, kommt nicht alle Tage vor. Es ist ein weltweit demokratiepolitisch wohl ziemlich einzigartiges Experiment, das die Chilenen wagen.
«Unsere alte Verfassung von 1980 enthält viel Gutes, aber auch Veraltetes. Wir müssen sie modernisieren», sagt ein junger Mann.
Chiles bisherige Verfassung stammt noch aus der Zeit der Militärdiktatur von General Augusto Pinochet. Sie ist stark neoliberal geprägt: Die Aufgaben des Staates sind auf ein Minimum reduziert – vieles ist weitgehend privatisiert. Wasser etwa ist in Chile kein öffentliches Gut, sondern ein privates.
Demokratie, Stabilität und Sicherheit
Was sind die wichtigsten Anliegen der Wählerinnen und Wähler? Demokratie, Stabilität und Sicherheit. Die Chilenen fühlen sich laut Umfragen so unsicher wie seit 20 Jahren nicht mehr.
Die Kriminalität im Land stieg zuletzt deutlich an. Viele machen dafür die Regierung des linksprogressiven Präsidenten Gabriel Boric verantwortlich. Das könnte konservativen Kräften Aufschwung geben.
Dieser ganze Prozess sei eine Farce, sagt ein Mann, alle Politiker Lügner und Diebe. Eine junge Frau betitelt die Wahl als Zeitverschwendung. «Wir haben die neue Verfassung schon einmal abgelehnt, und auch diese wird wieder abgelehnt.» Sie stimmt nur ab, weil eine Wahlpflicht gilt. Sie will keine Busse riskieren.
Wenig übrig von der anfänglichen Euphorie
Es sind diese nachdenklichen, enttäuschten und entzauberten Stimmen, die den zweiten Anlauf für die neue Verfassung prägen. Von der anfänglichen Euphorie ist wenig geblieben.
Chiles frisch gewählter Verfassungsrat soll nun bis im Dezember eine neue Verfassung ausarbeiten. Dann kommt der neue Verfassungstext noch einmal vors Stimmvolk.