Jubel brandet durch den Saal, als Stacey Abrams auf die Bühne tritt. An einem Spendenanlass der Demokraten in Atlanta ist die Gouverneurskandidatin die Hoffnungsträgerin. Sie verspricht, für Abtreibungsfreiheit zu kämpfen.
In Georgia gilt ein Abtreibungsverbot ab der sechsten Schwangerschaftswoche. Es ist in Kraft seit dem Urteil des höchsten Gerichts, das diesen Sommer das bundesweit garantierte Recht auf Abtreibung aufhob. Ein Schock für viele liberale Frauen. Doch die Wut darüber könnte den Demokraten in den Zwischenwahlen helfen, davon sind viele an dem Anlass überzeugt.
Die Leute haben unterschätzt, wie wütend Frauen über diesen Entscheid sind.
«Viele Leute gehen wählen, die sonst keinen Sinn darin sehen», sagt Saira Draper, Kandidatin für das Repräsentantenhaus von Georgia. Shea Roberts, Abgeordnete des Repräsentantenhauses von Georgia hat ihre persönliche Abtreibung in einem konservativen Medium veröffentlicht, um auch Republikanerinnen anzusprechen. Der Fötus war nicht überlebensfähig und die Schwangerschaft für sie riskant.
«Ich muss zugeben, ich bekam einige böse Zuschriften. Doch es meldeten sich auch einige Republikanerinnen, die sagten, sie überlegen sich erstmals, ihre Stimme den Demokraten zu geben.» Und Caroline Ahmann ist voller Zuversicht für die Zwischenwahlen: «Ich glaube, wir können die Zwischenwahlen gewinnen. Die Leute haben unterschätzt, wie wütend Frauen über diesen Entscheid sind, und viele haben sich neu zum Wählen registriert.»
Grosser Effort von Freiwilligen
Caroline Ahmann ist eine von unzähligen Freiwilligen der Demokraten. Wir treffen sie am Tag danach in ihrer Küche in einem malerischen Südstaatenhaus.
Mit einer Kollegin bereitet sie Kisten voll mit Flugblättern vor. Die einen Flyer haben einen QR-Code aufgedruckt, mit dem man sich direkt zum Wählen registrieren lassen kann. Diese Flyer deponieren sie an verschiedenen Orten in der Stadt. Denn ohne sich vorweg zu registrieren, darf man in Georgia nicht wählen.
Die anderen Flyer verteilen sie an Haustüren. Darauf steht, dass die republikanische Politik der Abtreibungsverbote die Gesundheit von Frauen gefährdet. Die Demokraten nutzen Datenbanken, um gezielt jene Menschen anzugehen, die Demokraten sind, Wechselwählerinnen oder Unabhängige. Das Ziel: diese auch an die Urnen zu bringen.
«Wir haben Adressen und verteilen Flyer bei ihren Häusern. Aber wir haben auch Telefonnummern. Wir werden jeden Einzelnen anrufen, über 2000 Leute, und fragen, wie sie wählen wollen – und ob sie ein Transportmittel zur Wahl haben. Wenn nicht, dann wird der kleine Bus vor meinem Haus sehr beschäftigt sein, denn wir werden sie fahren», erklärt Ahmann. Die Entschlossenheit steht ihr dabei ins Gesicht geschrieben.
Auch Loren Walter und Madysen Forney von der parteiunabhängigen Organisation Ignite wollen mehr Menschen an die Urnen bringen – nämlich die Jungen, eine Altersgruppe mit oft tiefer Wahlbeteiligung.
Abtreibungsfreiheit als zündender Funke
Ihre Altersgruppe erreichen sie mit einer Kampagne in den sozialen Medien, aber auch an den Universitäten, wo sie Studierende ansprechen. Die Frage der Abtreibungsfreiheit habe einen Funken gezündet, um an den Wahlen teilzunehmen. «Die Abtreibungsfrage ist ein treibender Faktor für Junge, sich zu engagieren und ins Gespräch zu kommen. Sie denken, ok, das betrifft mich, was unternehmen wir», sagt Loren Walter.
«Gerade Frauen in meinem Alter sind super wütend», ergänzt Madysen Forney. «Es ist wichtig, dass Frauen jeden Alters, Rasse, Hautfarbe für das wählen können, was sie wollen und Rechte, die wichtig für sie sind. Und dass sie über ihren Körper entscheiden können.»
Entscheidende Vororte
In den Vororten von Atlanta entscheiden sich Wahlen. Dank Georgia ist Joe Biden Präsident. Dank Georgia haben die Demokraten im Senat eine Mehrheit. Der Bundesstaat ist zu einem der heiss umkämpftesten Swing States geworden, seit die Demokraten 2020 hier erstmals seit Jahrzehnten gewannen.
Die Abtreibung ist ein emotionales Thema, das dem Wahlkampf der Zwischenwahlen einen Mobilisierungsschub verleiht. Für die Demokraten ist es ein Hoffnungsschimmer, da die regierende Partei in den Zwischenwahlen erfahrungsgemäss oft abgestraft wird und verliert.
Doch auch die Republikaner kämpfen um Stimmen. Wir treffen Sandy Donatucci, Kandidatin für das Repräsentantenhaus von Georgia in Gwinnett County, einem Vorort von Georgia. Sie klingelt an einer Tür. Auch die Republikanerin geht gezielt konservative oder unabhängige Wählerinnen und Wähler an, um diese an die Urnen zu bringen.
Abtreibung, das vor dem Urteil ein zentrales Wahlkampfthema der Konservativen war, spricht sie nicht an, sondern andere Themen, die den Menschen Sorgen bereiten. «Ein Problem ist die Teuerung. Kürzlich bin ich mit drei halbleeren Säcken aus dem Laden gekommen, für 150 Dollar», sagt sie, um die Konversation zu beginnen. Dann spricht sie über zu hohe Kriminalität und Schulpolitik. Der Anwohner nickt, ihm entspricht die konservative Politik.
Wir konfrontieren Donatucci damit, dass viele Frauen wütend sind über das Abtreibungsverbot in Georgia, das von den Republikanern eingeführt wurde. Doch die Republikanerin relativiert. «Bei den meisten, mit denen ich spreche, scheint es kein grosses Thema zu sein. Wenn es aufkommt, sage ich jeweils, es geht nicht nur um die Mutter, sondern auch um das Baby. Es gibt Adoption, das ist unsere Richtung.»
Sammy Baker, Präsident der Gwinnett County Republicans, räumt ein, dass die Republikaner einige Stimmen in der Mitte oder bei Jungen verlieren könnten. «Doch es gibt auch viele Frauen, die strikt gegen Abtreibungen sind. Es geht in beide Richtungen. Und wir haben nicht den Eindruck, dass die Abtreibung das wichtigste Thema ist für die Menschen, sondern die Teuerung.» Die Republikaner fokussieren den Wahlkampf darauf, dass Präsident Biden und die Demokraten für die hohe Teuerung verantwortlich seien.
Persönliche Erfahrungen prägen
In einem hübschen Park im Vorort East Cobb sprechen wir mit vielen Leuten. Die Teuerung beschäftigt tatsächlich alle. Doch nicht alle geben Präsident Biden dafür die Schuld. Das Abtreibungsverbot beschäftigt auch hier viele. Wie Mary Paris, Mutter und Grossmutter, pensionierte Pflegefachfrau. Sie hat beschlossen, sich als Freiwillige für die Demokraten zu melden und ebenfalls an Türen zu klopfen. Sie hofft, dass das Thema Abtreibung viele Junge dazu bringt, zu wählen.
Ganz am Schluss eines langen Gesprächs erzählt sie ihre persönliche Geschichte. Ihr Sohn kam mit schwersten Missbildungen zur Welt, in einer Zeit, bevor es Ultraschall gab. «Für die Woche, die er überlebte, war er angeschlossen an unzählige Schläuche. Wenn ich gewusst hätte, dass es keine Überlebenschance gibt, dass dieses Kerlchen so viel leiden muss, natürlich hätte ich abgetrieben, um ihm das Leiden zu ersparen. Ich möchte einfach, dass jede Frau diese Entscheidung selber treffen darf.»
Die Abtreibungsfrage geht vielen Frauen nahe, das ist in Georgia deutlich zu spüren. Doch auch die Republikaner haben mit der Wirtschaftssituation gute Wahlkampfargumente. Tatsächlich die Mehrheit im Kongress zu halten und die Wahl zu gewinnen, wird schwierig für die Demokraten. Dazu müssten sie ihre gesamte Basis und auch viele Unabhängige für sich an die Urnen bringen.