Footballprofi Carl Nassib hat seine Homosexualität öffentlich gemacht – als erster aktiver Footballspieler in den USA. Er rede eigentlich nicht gerne über Privates, hoffe aber, dass solche Videos eines Tages nicht mehr nötig seien.
Für Profisportler wie ihn sei es immer noch schwierig, sich zu outen, sagt Sportsoziologin Birgit Braumüller. Das liege auch an der Sportart.
SRF News: Was sagen Sie zum Coming-out von Carl Nassib?
Birgit Braumüller: Ich finde, es ist ein mutiger und toller Schritt. Ich glaube, dass das eine grosse Vorbildwirkung hat, da er aus einer klassisch männlich geprägten Sportart kommt, dem American Football, das in den USA sehr beliebt ist.
Welche Rolle spielt die Vorbildwirkung bei dem Thema?
Das haben wir untersucht. Wir haben europaweit LGBTI (Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Transsexuell/-gender und Intersexuell, Anm. d. Red.) befragt, was sie sich wünschen würden im Kampf gegen die Homo- und Transnegativität. Ein Punkt ganz oben auf der Liste war, dass sich bekannte Sportler und Sportlerinnen öffentlich outen, um so etwas Normalität zu etablieren.
Warum ist es so speziell, dass sich ein Sportprofi outet?
Der Sport ist immer noch ein soziales Feld, das stark von heteronormativen Vorstellungen und Geschlechter-Stereotypen geprägt ist. Uns erscheint es logisch, dass der typische Sportler männlich und heterosexuell ist. Deshalb sind Coming-outs wie jenes von Nassib immer noch berichtenswert.
Auch Medien, Fans und generell die Aufmerksamkeit, die eine Sportart bekommt, spielen eine grosse Rolle.
Zudem ist der Sport geprägt von maskulinen Charakteristika. Diese werden homosexuellen Personen eher abgesprochen. Was natürlich nicht der Realität entspricht, sondern nur unsere heteronormativen Vorstellungen und Erwartungen wiedergibt. Daneben spielen auch Medien, Fans und generell die Aufmerksamkeit, die eine Sportart bekommt, eine grosse Rolle. All das kann das Coming-out einer Person in bestimmten Sportarten erschweren.
Welche Rolle spielt die Sportart dabei, wie schwer ein Coming-out ist?
Sie spielt eine zentrale Rolle. Bei Männern gibt es immer noch Sportarten, bei denen Homosexualität stark tabuisiert wird. Hierzu zählen erfahrungsgemäss vor allem Teamsportarten. Vor allem die emotionale und körperliche Nähe der Spieler und das soziale Miteinander wird als Begründung genannt.
Was können Vereine tun, damit Coming-outs normal werden?
Unsere Studie hat gezeigt, dass das Nichtwissen und das Nicht-wahrnehmen-wollen das grösste Problem sind. Eine zentrale Handlungsempfehlung ist deshalb, dass man alle Akteurinnen und Akteure sensibilisiert.
Jeder und jede von uns kann sich im Sport stark machen für eine gleichberechtigte Teilhabe.
Wir haben bei Sportvereinen nach Best-Practice-Massnahmen gefragt. Dabei kam heraus, dass es einzelne Personen geben muss, die sich des Themas annehmen und es vorantreiben. Zudem sollte man LGBTI in die Entscheidungsprozesse einbinden. Auf struktureller Ebene wäre es wichtig, die Wertschätzung von Vielfalt, Antidiskriminierung, von allen Dimensionen der sexuellen Orientierung in der Satzung zu verankern.
Was heisst das für die Praxis, etwa auf dem Spielfeld?
Da ist es total wichtig, dass Trainerinnen und Trainer Werkzeug mitgegeben wird, wie man mit den Themen geschlechtliche und sexuelle Vielfalt umgehen kann. Dazu müsste man dies in die Ausbildungsstrukturen implementieren. Und zu guter Letzt sind wir alle ein Stück weit gefragt: Jeder und jede kann sich stark machen für eine gleichberechtigte Teilhabe. Etwa indem man homonegative Sprache nicht einfach hinnimmt und sich mit LGBTI verbündet, um zu zeigen, dass der Sport tolerant ist und alle willkommen sind.
Das Gespräch führte Sandra Witmer.