Nach der Ankündigung der Zertifikatspflicht durch den Bundesrat war der Aufschrei in der Gastroszene gross. Es wurden massive Umsatzeinbrüche erwartet. Inwiefern diese Befürchtungen eintrafen: Ivan Lieberherr von der SRF-Wirtschaftsredaktion ordnet ein.
SRF News: Wie sind diese aktuellen Zahlen einzuschätzen – wie stark haben die Umsätze genau gelitten?
Iwan Lieberherr: In der ersten Woche nach Einführung der Zertifikatspflicht sind die Umsätze im Schnitt um 17 Prozent gesunken – dies im Vergleich zur Woche davor. Das entspricht etwa 20 Millionen Franken, die die Wirtinnen und Wirte weniger in der Kasse hatten.
Das legen Zahlen der Universität St. Gallen nahe: Sie hat Zahlungen in den Restaurants mit Kreditkarten und Debitkarten sowie mobile Zahlungen ausgewertet. Darüber berichten heute die NZZ und der Tagesanzeiger. Minus 17 Prozent: Das ist zwar ein markanter Rückgang, allerdings hat der Branchenverband Gastrosuisse einen Rückgang um 30 Prozent und mehr befürchtet. Dermassen eingebrochen sind die Umsätze nun also nicht.
Schlüsseln wir diese Zahlen noch etwas auf: Besonders kritische Töne waren aus Landgasthöfen zu vernehmen. Zu Recht?
Ja, die Zahlen weisen auf einen ausgeprägten Stadt-Land-Graben hin. In der ersten Woche mit Zertifikatspflicht sanken die Gastro-Umsätze in den Städten um 12 Prozent – auf dem Land dagegen um durchschnittlich 28 Prozent.
Wie erklären Sie sich das?
Es dürfte in erster Linie an der Impfquote liegen, die in den Städten höher ist als auf dem Land. Das bringt dann automatisch mehr Gäste in die Restaurants. Und dies nicht nur zum ausgiebigen Nachtessen, sondern auch mal zwischendurch für einen schnellen Kaffee tagsüber. Hinzu kommt: Die Kapazitätsbeschränkungen sind weggefallen – es gibt wieder mehr Plätze in den Lokalen. Das könnte der Stadt-Gastronomie ebenfalls zugutekommen.
Der Stadt-Land-Graben dürfte in erster Linie an der Impfquote liegen, die in den Städten höher ist als auf dem Land.
Auf dem Land ist die Impfquote tiefer. Also braucht es einen Test, um ins Restaurant oder ins Café zu gehen. Aber eben: Auf dem Land tut man sich offensichtlich schwerer damit als in der Stadt. Ein weiterer Punkt noch: Die Universität St. Gallen stützt sich auf Karten- und Handy-Zahlungen. Gut möglich also, dass es beim Bezahl-Verhalten zwischen der Stadt und dem Land Unterschiede gibt. Dass also nicht überall alle Umsätze gleichermassen erfasst wurden, weil auf dem Land mehr bar bezahlt wird als in der Stadt. Diese Ausgaben werden dann eben nicht erfasst.
Bei den jetzigen Temperaturen kann man in Restaurants und Cafés momentan noch draussen sitzen. Wie wird sich die Lage im Herbst und im Winter verändern?
Da kann man nur mutmassen. Gut möglich, dass die Umsätze weiter nach unten gehen werden – parallel zu den sinkenden Temperaturen. Wobei: Das Wetter war ja auch in der ersten Woche mit der 3G-Regel durchzogen. Denkbar ist auch, dass sich die Leute rasch an die Zertifikatspflicht in Restaurants gewöhnen – und dann wieder öfters auswärts essen oder auch nur für einen Kaffee schnell einkehren.
Das Zeigen des Zertifikats kann schnell zur Routine werden. Und wenn die Zahl der Geimpften nun weiter zunimmt, dürften die Gastronomen auch dies wieder spüren. Ein Wirt berichtet heute in der NZZ, es herrsche wieder eine richtige Beizenstimmung. Insbesondere, weil es keine Maskenpflicht mehr gebe, Trennwände abmontiert worden seien und man auch keine Abstandsregeln mehr beachten müsse. Ich denke, das wird sich bestimmt noch herumsprechen.
Das Gespräch führte Roger Aebli.