Inwiefern dürfen Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz mitreden und mitbestimmen? Diese Frage reicht weit zurück: Bereits vor 175 Jahren führte der Kanton Neuenburg das Ausländerstimmrecht auf kommunaler Ebene ein.
Deutschschweiz holt auf
Seither hat sich diese Idee – Stimm- und Wahlrecht auch für Menschen ohne Schweizer Pass – weiter verbreitet. Vor allem in der Westschweiz ist sie inzwischen Realität: Ausländerinnen und Ausländer können dort teilweise nicht nur auf kommunaler, sondern in den Kantonen Neuenburg und Jura auch auf kantonaler Ebene wählen und abstimmen.
In der Deutschschweiz gilt das Abstimmungs- und Wahlrecht für Ausländer nur in einzelnen Gemeinden, wenn auch mit steigender Tendenz. Vor allem der Kanton Graubünden gilt als Hochburg des Ausländerstimmrechts.
Die Leute fühlen sich ernst genommen und können mitreden.
Im Bergkanton haben mittlerweile über 30 Gemeinden das Stimm- und Wahlrecht für Ausländer eingeführt – und die Hauptstadt Chur könnte bald folgen, wie der Gemeinderat kürzlich bestätigte.
In Arosa dürfen seit 2013 alle Personen mit einer Niederlassungsbewilligung C und mindestens fünf Jahren Wohnsitz in der Gemeinde mitbestimmen. «Wir spüren, dass sich Menschen mit einer anderen Nationalität bei uns wohlfühlen. Sie können am politischen Dorfleben teilnehmen, was zu einer stärkeren Integration führt», ist die Gemeindepräsidentin Yvonne Altmann überzeugt.
Recht wird kaum genutzt
«Die Leute fühlen sich ernst genommen und können mitreden, wenn sie wollen – sie müssen aber nicht», erklärt Urs Niederegger, Gemeindeschreiber von La Punt Chamues-ch. Auch dort gibt es das Stimm- und Wahlrecht für Ausländer, allerdings wird es nur von wenigen genutzt.
Die tiefe Stimmbeteiligung hat auch mit der politischen Sozialisation zu tun.
Von den etwa 40 Stimmberechtigten nehmen laut Niederegger nur vier bis sechs Personen an den Gemeindeversammlungen teil. Für das Gemeindeparlament habe sich bislang noch niemand mit einer C-Bewilligung zur Wahl gestellt.
Ähnlichkeiten zum Frauenstimmrecht
Auch wenn Ausländerinnen und Ausländer politisch mitbestimmen können, tun sie dies nur zögerlich. Die Wahlbeteiligung der ausländischen Bevölkerung liegt deutlich unter derjenigen der Schweizerinnen und Schweizer, wie eine Studie der Universität Neuenburg letztes Jahr gezeigt hat.
Daniel Kübler, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Zürich, sieht darin ein typisches Phänomen bei der Ausweitung politischer Rechte: Gruppen, die historisch von solchen Rechten ausgeschlossen waren, müssen erst lernen, sich damit zu identifizieren.
Kübler zieht eine Parallele zur Einführung des Frauenstimmrechts: Auch Frauen, die vor dessen Einführung aufgewachsen sind, hätten lange Zeit seltener abgestimmt oder gewählt. «Viele Frauen sind politisch nicht so sozialisiert worden, dass sie überhaupt wählen oder abstimmen dürfen», und das zeige sich bis heute in der Wahlbeteiligung.
«Frauen, die vor 1971 bereits 20 Jahre alt waren, nutzen das aktive und passive Wahlrecht auf nationaler Ebene deutlich seltener.» Ähnlich wie bei den Frauen sei es auch bei den Ausländern: «Ein sehr langfristiger Effekt, der mit der politischen Sozialisation zu tun hat», erklärt Kübler.
Der Politikwissenschaftler betont dabei, wie wichtig das Stimm- und Wahlrecht für die Demokratie ist: «Demokratie bedeutet, über Dinge mitentscheiden zu können, die einen selbst betreffen.» Und beim Mitbestimmen in einer Gemeinde sei das Stimm- und Wahlrecht extrem wichtig.