- Am 22. September kommt die Biodiversitäts-Initiative zur Abstimmung. Derzeit wollen 51 Prozent ein Ja in die Urne legen.
- Bis zum Urnengang müssen Initiativen aber erfahrungsgemäss Federn lassen: Der Vorsprung könnte sich als zu knapp erweisen.
- Die zweite Abstimmungsvorlage, die BVG-Reform, startet ebenfalls mit einer Ja-Mehrheit.
Die freundliche Biene am Balkon, das dröhnende «Nein!» auf dem Acker: Landauf, stadtab weibeln Befürworter und Gegnerinnen für die Biodiversitäts-Initiative – und das schon seit geraumer Zeit.
Der Abstimmungskampf wurde jedoch erst im Juni so richtig vom Initiativkomitee lanciert. Eine traditionell schwierige Aufgabe in den Sommermonaten.
Auf den ersten Blick scheint die Vorlage auf Kurs. «Ein derart knapper Vorsprung ist bei Initiativen aber ein deutliches Zeichen, dass es noch weiter nach unten gehen kann», sagt Lukas Golder vom Forschungsinstitut GFS Bern, das die Umfrage im Auftrag der SRG SSR durchgeführt hat. Denn Volksinitiativen geniessen oft Anfangssympathien – dann aber rücken vermeintliche Schwächen der Vorlage in den Fokus.
Mit Blick auf die Parteienlandschaft zeigt sich ein bekanntes Muster: Bei den Anhängerschaften der SP und der grünen Parteien ist die Unterstützung für die Umweltvorlage gross; die ablehnende Haltung im bürgerlichen Lager nimmt von Mitte bis SVP stetig zu.
Dabei wissen die Initianten argumentativ durchaus zu überzeugen: Drei Viertel der Befragten beurteilen die Folgen der Umweltzerstörung als gravierend, zwei Drittel betrachten die Natur durch intensive Landnutzung als gefährdet und eine knappe Mehrheit fürchtet horrende Kosten durch das Artensterben.
Sympathisch, aber…
Die Nein-Argumente sind umstrittener. 54 Prozent sehen die Landwirtschaft unter Druck, wenn die Schutzflächen ausgebaut werden. 50 Prozent sehen ein Problem beim Wohnraum, wenn die Vorschriften von Neubauten verschärft werden.
Die Umfrage zeigt auch, dass viele Stimmberechtigte eine Grundsatzfrage beschäftigt: Wie gross ist das Problem mit der Biodiversität wirklich? «Verursacht es Kosten in Milliardenhöhe oder unternehmen Bund und Kantone schon genug?», fasst Golder zusammen. Diese Unklarheiten könnten am Ende dazu führen, dass die Initiative scheitert: Denn für ein Ja braucht es die Gewissheit, dass etwas getan werden muss.
Den Abstimmungsentscheid beeinflussen könnte auch die wirtschaftliche und politische Grosswetterlage. Kriege, eine fragile Wirtschaft, hohe Mieten, explodierende Krankenkassenprämien – all das beschäftigt derzeit viele Menschen. Grundsätzlich sei das Umweltbewusstsein zwar nach wie vor breit in der Bevölkerung verankert, erklärt Golder. «Das Sicherheitsbedürfnis hat aber zugenommen, und das hat die grüne Welle in den letzten Wahlen markant abgeschwächt.»
Der Geschlechtergraben
Bemerkenswert ist auch, dass Frauen dem Umweltanliegen offener gegenüberstehen als Männer. Laut dem Politologen ist dies ein bekanntes Phänomen, das sich schon bei vielen vergleichbaren Vorlagen gezeigt hat.
Wie stark der Problemdruck empfunden wird, ist auch vom Wohnort abhängig. «Wenn man nur in den Städten oder den Agglomerationen abstimmen würde, könnte man ein Ja erwarten», sagt Golder. «Man möchte die Umwelt als Erholungsraum nutzen und hat eine eher nostalgische Vorstellung von Natur.»
Auf dem Land ist der Widerstand gegen die Initiative dagegen gross. Die wirtschaftliche Sicht dominiert. «Hier ist die bäuerliche Optik sehr wichtig», führt der Politologe aus. «Man will gute Erträge, eine funktionierende Landwirtschaft und keine allzu grossen Konzessionen bei Schutzflächen.»
Links-rechts, Frau-Mann, Stadt-Land: Bei der Biodiversitäts-Initiative tun sich so einige Gräben auf. Folgt alles dem gewohnten Drehbuch, dürfte sie es schwer haben: Neun von zehn Volksinitiativen werden nämlich abgelehnt. «Wenn der übliche Verlauf eintritt, verliert die Initiative noch mindestens zehn Prozentpunkte Zustimmung. Dann sieht es schlecht aus», schliesst Golder.