- In der ersten SRG-Umfrage zur Abstimmung vom 22. September unterstützt eine knappe Mehrheit von 49 Prozent die Reform der beruflichen Vorsorge.
- Doch viele der Befragten sind noch unentschieden. Die linke Gegnerschaft warnt vor tieferen Renten und findet damit Gehör.
- Der Rechenfehler bei der AHV-Abstimmung von 2022 könnte das Misstrauen gegen die Vorlage verstärken.
- Die zweite Vorlage, die Biodiversitäts-Initiative, wird derzeit von einer Mehrheit der Befragten befürwortet.
Umwandlungssatz, Eintrittsschwelle, Koordinationsabzug: Mit der Reform der beruflichen Vorsorge kommt am 22. September ein politischer Zauberwürfel zur Abstimmung: Dreht man an einer Stelle, sieht alles gleich ganz anders aus. Die Vorlage ist ebenso komplex wie wichtig, denn die Altersvorsorge betrifft uns naturgemäss alle.
Doch die Sanierungsarbeiten an der 2. Säule sind für Uneingeweihte schwer durchschaubar. «Wenn man die Vorlage in allen Verästelungen verstehen will, wird es sehr kompliziert», sagt Martina Mousson vom Forschungsinstitut GFS Bern, das die Umfrage im Auftrag der SRG SSR durchgeführt hat.
Für Gegner und Befürworter heisst das vor allem eines: Aufklärungsarbeit leisten. «Die Meinungen sind noch nicht gemacht, es gibt viele Unentschiedene», führt Mousson aus. Das knappe Mehr für die Reform sei alles andere als gesichert. «Behörden und Parlament müssen nun stark überzeugen, um das Ja über die Ziellinie zu bringen.»
An sommerlichen Grillabenden war die BVG-Reform kaum Diskussionsthema Nummer 1. Sie könnte aber einen heissen Politherbst einleiten, prognostiziert die Politologin. «Der Abstimmungskampf dürfte hart geführt werden.»
Warnung vor Renteneinbussen
Das linke Lager warnt vor einem «BVG-Bschiss»: Arbeitnehmende würden mit der Reform mehr einzahlen und später weniger Rente erhalten. Damit verfügt die Gegnerschaft über das wirksamste Argument für den Stimmentscheid. Zwei Drittel der Befragten stimmen auch dem Argument zu, dass angesichts der Teuerung und der hohen Zinsen eine Senkung der BVG-Renten für viele nicht verkraftbar seien.
Überraschend: Ein beachtlicher Teil der Wählerschaft der SP und Grünen will für die Reform stimmen. Auf verlorenem Posten ist die Linke deswegen aber nicht. Denn am anderen Pol lehnen viele Befragte die Reform ab. Obwohl die SVP die Vorlage unterstützt, ist der Widerstand bei der eigenen Basis gross. Mousson erwartet jedoch links wie rechts eine Angleichung an die Partei-Parolen.
Auch das Ja-Lager hat schlagkräftige Argumente. Weithin herrscht Einigkeit darüber, dass die Situation von Teilzeitarbeitenden und vor allem von Frauen verbessert werden soll. Darüber, ob die BVG-Reform an den richtigen Stellschrauben dafür dreht, herrschen freilich unterschiedliche politische Ansichten. Daneben haben die Befürworter noch zwei weitere mehrheitsfähige Argumente.
Wie wirkt die AHV-Panne nach?
Politik ist auch eine Frage des Vertrauens. «Dieses ist eine wichtige Erklärungsgrösse bei einem Stimmenentscheid», sagt Mousson. Wer der Regierung vertraut, ist in der Regel auch bereit, ihre Projekte mitzutragen. Wer Misstrauen hegt, stimmt eher gegen die Behörden.
Alles andere als eine vertrauensbildende Massnahme war der jüngst publik gewordene Rechenfehler zur Finanzlage der AHV. Vor der Abstimmung über das Rentenalter 65 für Frauen vor zwei Jahren operierte das Bundesamt für Sozialversicherungen mit falschen Zahlen: Das prognostizierte Defizit der AHV wurde um mehrere Milliarden überschätzt. SP und Grüne haben inzwischen Beschwerde eingelegt und fordern eine Wiederholung der Abstimmung.
Auch die BVG-Reform basiert auf komplexen Berechnungen. Unter anderem dazu, wie sie sich auf die künftigen Rentenbezüge der Arbeitnehmenden aus verschiedenen Alters- und Einkommensgruppen auswirken wird. «Der Rechenfehler hat Misstrauen gestreut – und das bei einer komplexen Vorlage im gleichen Themengebiet wie der AHV-Reform», sagt die Forscherin. Diese Zweifel gelte es nun aus dem Weg zu räumen. Moussons Fazit: «Er wird schwierig für Behörden und Parlament.»