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Politologin Martina Mousson: «Es wird schwierig für Behörden und Parlament»
Aus News-Clip vom 15.08.2024.
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SRG-Umfrage zeigt knappes Ja Reform der beruflichen Vorsorge: AHV-Panne sorgt für neue Dynamik

  • In der ersten SRG-Umfrage zur Abstimmung vom 22. September unterstützt eine knappe Mehrheit von 49 Prozent die Reform der beruflichen Vorsorge.
  • Doch viele der Befragten sind noch unentschieden. Die linke Gegnerschaft warnt vor tieferen Renten und findet damit Gehör.
  • Der Rechenfehler bei der AHV-Abstimmung von 2022 könnte das Misstrauen gegen die Vorlage verstärken.
  • Die zweite Vorlage, die Biodiversitäts-Initiative, wird derzeit von einer Mehrheit der Befragten befürwortet.

Umwandlungssatz, Eintrittsschwelle, Koordinationsabzug: Mit der Reform der beruflichen Vorsorge kommt am 22. September ein politischer Zauberwürfel zur Abstimmung: Dreht man an einer Stelle, sieht alles gleich ganz anders aus. Die Vorlage ist ebenso komplex wie wichtig, denn die Altersvorsorge betrifft uns naturgemäss alle.

Doch die Sanierungsarbeiten an der 2. Säule sind für Uneingeweihte schwer durchschaubar. «Wenn man die Vorlage in allen Verästelungen verstehen will, wird es sehr kompliziert», sagt Martina Mousson vom Forschungsinstitut GFS Bern, das die Umfrage im Auftrag der SRG SSR durchgeführt hat.

Darum geht es bei der Pensionskassenreform

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Legende: Linke Allianz gegen die BVG-Reform: Das Bündnis besteht aus dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB), Travailsuisse, den Gewerkschaften Unia und VPOD sowie der SP Schweiz. Keystone/Anthony Anex

Mit der BVG-Reform soll die Finanzierung der 2. Säule gesichert werden. Angesichts der steigenden Lebenserwartung und der tiefen Renditen sei eine Senkung des Umwandlungssatzes im obligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge von derzeit 6.8 auf 6 Prozent unumgänglich, sagen die Befürworter der Vorlage – darunter Bundesrat und Parlament.

Im Gegenzug soll der sogenannte Koordinationsabzug wegfallen, was Menschen mit tiefen Einkommen besserstellt, weil sie so mehr Pensionskassenkapital anhäufen können als bisher. Und zur Abfederung für die Übergangsjahrgänge sollen künftige Neurentnerinnen und -rentner während einer 15-jährigen Übergangsfrist einen monatlichen Zuschlag von bis zu 200 Franken erhalten.

Die Reform trifft nach Angaben des Bundes vor allem Erwerbstätige, die nach BVG-Minimum oder nur wenig mehr versichert sind. Das dürfte höchstens ein Drittel aller Versicherten sein. 

Für Gegner und Befürworter heisst das vor allem eines: Aufklärungsarbeit leisten. «Die Meinungen sind noch nicht gemacht, es gibt viele Unentschiedene», führt Mousson aus. Das knappe Mehr für die Reform sei alles andere als gesichert. «Behörden und Parlament müssen nun stark überzeugen, um das Ja über die Ziellinie zu bringen.»

An sommerlichen Grillabenden war die BVG-Reform kaum Diskussionsthema Nummer 1. Sie könnte aber einen heissen Politherbst einleiten, prognostiziert die Politologin. «Der Abstimmungskampf dürfte hart geführt werden.»

Warnung vor Renteneinbussen

Das linke Lager warnt vor einem «BVG-Bschiss»: Arbeitnehmende würden mit der Reform mehr einzahlen und später weniger Rente erhalten. Damit verfügt die Gegnerschaft über das wirksamste Argument für den Stimmentscheid. Zwei Drittel der Befragten stimmen auch dem Argument zu, dass angesichts der Teuerung und der hohen Zinsen eine Senkung der BVG-Renten für viele nicht verkraftbar seien. 

Überraschend: Ein beachtlicher Teil der Wählerschaft der SP und Grünen will für die Reform stimmen. Auf verlorenem Posten ist die Linke deswegen aber nicht. Denn am anderen Pol lehnen viele Befragte die Reform ab. Obwohl die SVP die Vorlage unterstützt, ist der Widerstand bei der eigenen Basis gross. Mousson erwartet jedoch links wie rechts eine Angleichung an die Partei-Parolen.

Auch das Ja-Lager hat schlagkräftige Argumente. Weithin herrscht Einigkeit darüber, dass die Situation von Teilzeitarbeitenden und vor allem von Frauen verbessert werden soll. Darüber, ob die BVG-Reform an den richtigen Stellschrauben dafür dreht, herrschen freilich unterschiedliche politische Ansichten. Daneben haben die Befürworter noch zwei weitere mehrheitsfähige Argumente.

Wie wirkt die AHV-Panne nach?

Politik ist auch eine Frage des Vertrauens. «Dieses ist eine wichtige Erklärungsgrösse bei einem Stimmenentscheid», sagt Mousson. Wer der Regierung vertraut, ist in der Regel auch bereit, ihre Projekte mitzutragen. Wer Misstrauen hegt, stimmt eher gegen die Behörden.

Alles andere als eine vertrauensbildende Massnahme war der jüngst publik gewordene Rechenfehler zur Finanzlage der AHV. Vor der Abstimmung über das Rentenalter 65 für Frauen vor zwei Jahren operierte das Bundesamt für Sozialversicherungen mit falschen Zahlen: Das prognostizierte Defizit der AHV wurde um mehrere Milliarden überschätzt. SP und Grüne haben inzwischen Beschwerde eingelegt und fordern eine Wiederholung der Abstimmung.

Klares Nein bei Umfrage von Tamedia und «20 Minuten»

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Einen Hinweis darauf, dass sich die AHV-Panne an der Urne auswirken könnte, lieferte auch die am Mittwoch veröffentlichte Umfrage von Tamedia und «20 Minuten»: Dort lehnen 59 Prozent der Befragten die BVG-Reform ab. In der SRG-Umfrage unterstützt dagegen eine knappe Mehrheit die Vorlage. Politologin Mousson sieht die naheliegendste Erklärung für die Diskrepanz in den unterschiedlichen Befragungszeiträumen.

Die Umfrage von Tamedia/«20 Minuten» wurde in den Tagen unmittelbar nach Bekanntwerden des Rechenfehlers durchgeführt und stand stark unter dem Eindruck der Berichterstattung und öffentlichen Kritik am Bund. «Die SRG-Umfrage war dagegen über zwei Wochen verteilt: Sie umfasst den Zeitraum vor Bekanntwerden des Rechenfehlers und lief auch danach noch weiter», erklärt Mousson.

Auch die BVG-Reform basiert auf komplexen Berechnungen. Unter anderem dazu, wie sie sich auf die künftigen Rentenbezüge der Arbeitnehmenden aus verschiedenen Alters- und Einkommensgruppen auswirken wird. «Der Rechenfehler hat Misstrauen gestreut – und das bei einer komplexen Vorlage im gleichen Themengebiet wie der AHV-Reform», sagt die Forscherin. Diese Zweifel gelte es nun aus dem Weg zu räumen. Moussons Fazit: «Er wird schwierig für Behörden und Parlament.»

Die Eckwerte der SRG-Umfrage

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Die Umfrage zu den Abstimmungen vom 22. Septmber 2024 ist im Auftrag der SRG SSR vom Forschungsinstitut GFS Bern zwischen dem 29. Juli und 12. August 2024 durchgeführt worden. Insgesamt wurden die Antworten von 12’332  Stimmberechtigten für die Auswertung berücksichtigt.

Telefonische Befragung

Telefonisch befragt wurden 1’205 stimmberechtigte Personen mit Wohnsitz in der Schweiz. Die Interviews wurden per Festnetz und Handy durchgeführt. Diese Stichprobe ist sprachregional gewichtet und repräsentativ für die Schweizer Stimmberechtigten. Der statistische Fehler beträgt ± 2.8 Prozentpunkte.

Bei 1’205 Befragten und einem Ergebnis von 50 Prozent liegt der effektive Wert mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit zwischen 47.2 und 52.8 Prozent. Dabei sind kleinere Abweichungen wahrscheinlicher, grössere unwahrscheinlicher.

Online-Befragung

Zusätzlich wurden Personen online befragt. Die Teilnehmenden wurden dazu über die Webportale der SRG rekrutiert. Nach der Bereinigung und Kontrolle der Daten konnten die Angaben von 11’127 Stimmberechtigten für die Auswertung verwendet werden.

Da sich die Teilnehmenden der Umfrage selber rekrutieren (sogenanntes Opt-in-Verfahren), ist die Zusammensetzung der Stichprobe nicht repräsentativ für die Grundgesamtheit. So nehmen zum Beispiel typischerweise mehr Männer als Frauen an politischen Umfragen teil.

Diese Daten werden aber mittels Gewichtungen an die realen Verhältnisse der Stimmberechtigten angenähert. Es werden dabei räumliche (Wohnort), soziodemografische (Alter oder Geschlecht) und politische Gewichtungsfaktoren eingesetzt. Durch diese Gewichtung wird die Repräsentativität der Stichprobe optimiert. Ziel ist, die Stichprobengrösse in der französisch- und italienischsprachigen Schweiz zu erhöhen.

Den gesamten Bericht zur SRG-Umfrage finden Sie auf der Seite von GFS Bern.

Heute Morgen, 16.08.2024, 6 Uhr;stal

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