Die A1 beginnt unter einer Brücke. Hier, in St. Margrethen, versuche ich mein Glück: Autostopp.
Schon nach wenigen Minuten darf ich mit. In einem Kombi, mit Vater und Tochter. «Wir waren einen neuen Parkettboden aussuchen», sagt sie. Jetzt gehts nach Hause, nach St. Gallen. Für mich eine schlechte Nachricht. Ich will ja weg.
An der Raststätte St. Margrethen Nord lassen mich die beiden deshalb raus. Der Anfang ist geschafft.
Hauptberuflich auf der Autobahn
Die A1, die längste und meistbefahrene Strasse der Schweiz, ist irgendwie für alle da: Über mehr als 400 Kilometer hält sie Lieferketten zusammen und trennt Freunde. 86-mal bietet sie Anschluss. Auch mir.
Der A1 entlang. Das ist mein täglich Brot.
Zwei Meter über der Raststätte lacht Dominik Probst aus seinem Lastwagen. Und lädt mich sofort ein. Über drei Stufen geht es hoch in die Fahrerkabine. Der Camionneur ist seit fünf Uhr früh unterwegs. «Der A1 entlang, durch und durch», sagt er. «Primär zwischen Härkingen und der Ostschweiz, das ist mein täglich Brot.»
Ausbau heisst Baustelle heisst Stau
Im Lastwagen, hoch über dem Stress der Autobahnpendler, geht es durch eines jener Ausbauprojekte, die zur Abstimmung kommen: den Rosenbergtunnel bei St. Gallen.
Mit dem Ausbauschritt 2023 soll er um eine dritte Röhre ergänzt werden. Platz für mehr Camions und Pendler. Probst allerdings sagt, vor der Entlastung komme die Geduldsprobe: «Ausbauten sind mit Baustellen verbunden und deshalb mit Stau.»
Nach dem Bau aber helfe die höhere Kapazität auch dem Güterverkehr. «Mit sechs Spuren durch den Rosenberg kann das Verkehrsaufkommen besser absorbiert werden», so Probst.
Ohne uns gehts dann doch nicht.
Nach dem Tunnel stoppt Probst bei einem Baumarkt, direkt an der Autobahn. Hier lädt er Baumaterial aus. Auf 11.5 Metern Ladefläche transportiere er fast alles, sagt der Chauffeur.
Kaffeemaschinen, Bücherkisten, selbst Marmorskulpturen habe er kürzlich in Österreich abgeholt. Oft habe er auch Velos mit dabei, fabrikneu. «So nahe ist das beieinander: Auf der Strasse sind die Spannungen gross – aber ohne uns gehts dann doch nicht.»
A1 als Arbeitsinstrument: Unterwegs mit Dominik Probst
Probst lädt volle Paletten aus, leere ein. Dann gehts weiter.
«Angenehmer als im Ausland»
Für mich geht es weiter mit Pierre, Grenzgänger aus dem Elsass. Durch den Thurgau Richtung Winterthur, auf der Überholspur. Natürlich läuft das Autoradio, das gehöre einfach dazu. «ABC SRF3 mag ich gerne!», sagt Pierre mit französischem Akzent. Auch hinter dem Steuer spiele er mit.
Ich finde die Schweizer Autobahn entspannt.
Pierre ist oft unterwegs und versucht, Stau zeitlich zu umgehen. Der Verkehr habe zwar deutlich zugenommen. Aber in der Schweiz zu fahren, sei immer noch deutlich angenehmer als im Ausland. «Da finde ich die Schweizer Autobahn entspannter.»
Ferien auf der Autobahn
In Kemptthal, kurz nach Winterthur, beugen sich zwei Jungs über ihre Motorhaube. Es qualmt. Aber darüber reden wollen die beiden nicht. Dafür bellt Olaf über die Raststätte. Der ist auf dem Heimweg aus den Norwegen-Ferien, im Wohnmobil von Ralf und Monika Mühli.
Die linke Spur ist für uns tabu.
Hier, nördlich von Zürich, ist die A1 das meistbefahrene Autobahnstück der Schweiz, mit mehr als 140'000 Fahrzeugen pro Tag. Da müsse man sich einordnen mit dem Wohnmobil, sagt Ralf Mühli.
«Die linke Spur ist für uns tabu.» Tempo 90, hinter einem Muldenkipper. «Das ist unser Platz.» Aber die Mühlis machen ja Ferien auf der A1. Da stünden sie halt ganz am Schluss der automobilen Nahrungskette.
Und diese Kette beginnt sich jetzt aufzureihen: Stau, ab Wallisellen. Auch für Sonja Caballero Lorenzo, die hier nur kurz rauffährt. «Ich nutze keinen öV, ich bin Autofahrerin», sagt sie und bläst den Zigarettenrauch durch den Spalt am Fenster.
«Man muss nicht in der Kälte warten, man muss den Leuten nicht beim Telefonieren zuhören, ihren Gestank aushalten.» Deshalb fahre sie Auto.
Birrfeld, Egerkingen, Niederbipp...
Wirklich entspannt ist die Stimmung auf der Raststätte Würenlos nicht. Dabei wurden hier einst Wohnungen gebaut. Verkaufsargument: der Ausblick auf die Autobahn, die gute Erschliessung. Für Emmanuel Fritsche nicht ausreichend, um dazubleiben.
Mit dem Industriekletterer geht es im Lieferwagen Richtung Westschweiz. Und Richtung Feierabend. Was er erwarte, jetzt, gegen 4 Uhr nachmittags? «Stau, natürlich.» Was denn sonst.
Stockender Verkehr bei Birrfeld. Dann bei Egerkingen. Bei Niederbipp gehts. Heute.
Der Ausbau aber würde wohl nicht viel bringen, sagt Fritsche. Bis die ausgebaute Autobahn da sei, nehme ja auch der Verkehr noch einmal zu.
Mit FCZ-Fans ans YB-Spiel
Für mein letztes Teilstück darf ich dann noch einmal einsteigen. Etwas eingeengt sitze ich auf der Rückbank, vier Fans des FC Zürich nehmen mich mit. «Nach Sion, an den Fussballmatch», sagt einer der vier.
«Das ging nicht anders für uns, wir würden nach dem Spiel nicht mehr nach Hause kommen.» Blauweiss-uniformiert geht es im dichten Verkehr Richtung Wallis.
Dass ich am Abend das Spiel der Young Boys im Berner Wankdorf besuche, muss ja keiner erfahren in diesem Auto. Auch wenns eng wird: Auf der A1 haben eben alle irgendwie Platz nebeneinander.