Die Frage der Immunität: Die Genfer Staatsanwaltschaft verdächtigt Regierungspräsident Pierre Maudet der Vorteilsnahme bei einer Reise nach Abu Dhabi im Jahr 2015. Das ist ein Korruptionsdelikt. Damit offiziell ein Verfahren eröffnet werden kann, muss das Kantonsparlament die Immunität von Maudet aufheben. Das Genfer Parlament entscheidet darüber um 22 Uhr im Anschluss an seine Sitzung – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Es ist eine reine Formsache – alle wünschen eine restlose Aufklärung der Affäre.
Die Rücktrittsforderungen: Ein Amtsenthebungsverfahren ist in Genf rechtlich nicht vorgesehen – nur Maudet selbst kann sich zum Rücktritt entscheiden. An der Parlamentssitzung wird allerdings über eine symbolische Resolution debattiert, die Maudets Rücktritt fordert. Die Grünen, die SP und die Linkspartei Ensemble à Gauche stehen hinter der Resolution. Aber auch Vertreter des Mouvement Citoyen Genevois und der SVP wollen den Vorstoss unterstützen. Damit ist eine Mehrheit wahrscheinlich. Die Lügen von Maudet seien «Gift für die Demokratie», steht in der Resolution. Vor einer Woche griff auch Petra Gössi, Parteipräsidentin der FDP Schweiz, Maudet öffentlich an. Die FDP will einen Imageschaden vermeiden.
Die Auswirkungen auf die Regierungsarbeit: Die Affäre lastet auf dem Genfer Regierungsrat, der wichtige Geschäfte – wie die Umsetzung der Unternehmenssteuerreform – anpacken müsste. Die Abklärungen der Justiz dürften aber Monate dauern. Das Vertrauensverhältnis innerhalb der Regierung ist deshalb gestört. Maudet war bislang zudem Präsident der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD). Es ist nicht davon auszugehen, dass er diese Funktion weiter ausführen kann. Ein baldiger Entscheid wird erwartet.
Was bisher geschah: Am 30. August hatte die Genfer Staatsanwaltschaft kommuniziert, dass sie wegen Verdachts auf Vorteilnahme gegen Maudet ermitteln will. Seither steht er unter grossem Druck. Am 5. September entband ihn die Genfer Regierung von seinen Repräsentationsaufgaben und entzog ihm das Justizdossier. Einen Tag später suchte Maudet die Flucht nach vorn: Der Regierungspräsident entschuldigte sich via Genfer Privatfernsehen bei der Genfer Bevölkerung – und gab zu, er habe «nicht die ganze Wahrheit gesagt». Eine Woche darauf entzog ihm die Genfer Regierung auch das Polizei- und das Flughafendossier. Angesichts seiner Situation erklärte Maudet zudem, vorübergehend auf das Regierungspräsidium zu verzichten.
Der Anlass der Affäre: Am Ursprung des Fall Maudet steht eine Luxus-Reise mit seiner Familie nach Abu Dhabi im November 2015. Der Kronprinz der Vereinigten Arabischen Emirate hatte Maudet offiziell eingeladen und die Kosten von mehreren zehntausend Franken übernommen. Maudet hatte in diesem Punkt gelogen. Ursprünglich behauptete er gegenüber Journalisten, es habe sich um eine private Reise gehandelt, bezahlt von Genfer Freunden. Im Mai berichtete die «Tribune de Genève» über die Reise und über Maudets Treffen mit dem Kronprinzen. Maudet reagierte darauf mit der Aussage, dass ein Freund eines Freundes – ein libanesischer Unternehmer – für die Kosten aufgekommen sei. Auch das stimmte nicht. Erst unter dem Druck der Staatsanwaltschaft löste Maudet das Lügenkonstrukt mit seinem Mea Culpa auf.
Die Vorwürfe: Neben dem Verdacht auf Vorteilsnahme stehen Vorwürfe über allfällige Gegenleistungen im Raum. Dies würde strafrechtlich schwerer wiegen. So soll etwa eine Firma, die vom Kronprinzen der Vereinigten Arabischen Emirate kontrolliert wird, den Zuschlag für zwei Konzessionen zur Bodenabfertigung am Flughafen Genf erhalten haben. Maudet soll dabei Druck aufgesetzt haben. Ein zweiter Vorwurf betrifft eine angedachte Zonenänderung in der Nähe des Flughafens, von der libanesische Geschäftsleute profitieren würden, die bei der Organisation der Reise nach Abu Dhabi eine Rolle gespielt haben sollen.