Das grösste Schweizer Medienhaus spart und spart. Nun auch auf lokaler Ebene: In Zürich schafft Tamedia, das zur TX Group gehört, eine Art Super-Regional-Redaktion für das Flaggschiff «Tages-Anzeiger» und die Regionalzeitungen «Landbote», «Zürichsee-Zeitung», «Zürcher Unterländer» und «Zürcher Oberländer.»
Die neue Zentralredaktion beliefert ab Juni die fünf Zeitungen mit kantonalen Zürcher Themen. Tamedia organisiert jetzt also auch die Regionalberichterstattung so wie den Rest der Ressorts. Inland- oder Sport-Texte zum Beispiel teilen sich die Deutschschweizer Tamedia-Blätter schon seit 2018.
«Für die Leser ein Gewinn»
Zusammenarbeit heisst nicht Zusammenlegung: Die Titel und auch die Redaktionsstandorte bleiben. Es werde nicht weniger über Winterthur im Landboten zu lesen sein, versichert Chefredaktor Benjamin Geiger, der auch die neue Zentralredaktion leitet. «Wir berichten mindestens gleich viel über die Region, vielleicht sogar fundierter dank der Zusammenarbeit», sagt Geiger, «aus dem Blick der Kundschaft geht nichts verloren, es gibt höchstens einen Gewinn».
Wir berichten mindestens gleich viel über die Region.
Ein Gewinn für die Leser – aber nicht für das Personal. Es ist kein Geheimnis, dass Tamedia mit dieser neuen Organisation sparen will. Ein Beitrag an das Sparziel von 70 Millionen Franken bis Ende 2022. «Ein Stellenabbau ist nicht auszuschliessen. Aber wir sind zuversichtlich, dass er in kleinem Rahmen stattfinden wird», sagt Geiger.
Dass Verlage den Rotstift bei der Regionalberichterstattung ansetzen, kommt für Medienwissenschaftler wenig überraschend. Daniel Vogler vom fög, dem Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft an der Universität Zürich, sagt: «In den Regionen liegt noch das grösste Sparpotential».
Für das «Medienqualitätsrating 2020» hat Vogler die Medienkonzentration untersucht. Sein Fazit: Zentralredaktionen, die zum Sparen eingerichtet werden, führen zu einem Verlust der Vielfalt. Und das birgt Risiken für die Demokratie.
«Weniger kritische Begleitung»
Denn bei der Tamedia sind 2019 rund 40 Prozent der Politik-Artikel in mehr als einer Zeitung erschienen. Dass überall das Gleiche drinsteht, blühe nun auch den Regionen. «Ich gehe davon aus, dass bis in spätestens zwei Jahren auch in der Regionalberichterstattung über Politik viele Beiträge geteilt werden», sagt Vogler.
Auch Manuel Puppis, Professor für Medienstrukturen an der Universität Freiburg, sieht den Verlust an Vielfalt kritisch: «Dadurch gibt es weniger kritische Begleitung der Politik und der Wirtschaft aus verschiedenen Perpektiven.»
Leidet die Wahlbeteiligung?
Weniger Lokalberichterstattung – das könnte sich sogar negativ auf die Wahlbeteiligung in den Gemeinden auswirken. Diesen Zusammenhang zeigte der Zürcher Politologie-Professor Daniel Kübler 2018 in einer Studie. Dabei sei nicht die Anzahl Zeitungen entscheidend, sagt er. «Wenn aber gar keine Zeitung mehr über Gemeindepolitik berichtet, dann können sich Bürgerinnen und Bürger nicht mehr informieren und bleiben der Urne fern», sagt Kübler.
Wenn gar keine Zeitung mehr über Gemeindepolitik berichtet, können sich Bürgerinnen und Bürger nicht mehr informieren.
Noch ist es in Zürich nicht so weit: die meisten Gemeinden, auch die ländlichen, kommen in den Medien vor. An der inhaltlichen Konzentration, daran, dass bald weniger Journalistinnen und Journalisten kritisch über Politik oder Wirtschaft in der Region berichten – daran ändert das freilich nichts.