Die Sanierung der Kantonsstrasse oder der Wettkampf des Pontoniervereins: Das ist seit 125 Jahren das tägliche Geschäft des Reussboten. Seit 1898 erscheint die Lokalzeitung im Aargauer Reusstal. Sie berichtet über das Geschehen in gut einem Dutzend Dörfer und ist aktuell von rund 3500 Menschen abonniert.
Zweimal in der Woche erscheint der Reussbote. In einigen Gemeinden ist er das amtliche Publikationsorgan. Diese Gemeinden lassen also ihre Mitteilungen in der Zeitung veröffentlichen: Baugesuche, Beschlüsse der Gemeindeversammlung, Öffnungszeiten der Verwaltung über die Festtage.
Redaktion und Verlag befinden sich in Mellingen. Und ausgerechnet der Gemeinderat von Mellingen wollte, dass die Zeitung nicht länger automatisch das offizielle Publikationsorgan ist. «Die vorgeschriebenen Veröffentlichungen erfolgen in dem durch den Stadtrat bezeichneten Publikationsorgan», sollte neu ganz allgemein in der Gemeindeordnung stehen.
Gemeindeversammlung folgt dem Chefredaktor
Aktuell ändere gar nichts, betonte Frau Gemeindeammann Györgyi Schaeffer. Aber: «Wir haben bewusst eine offene Formulierung gewählt. Denn die Digitalisierung der Kommunikation wird immer ausgeprägter.» Heisst: Künftig könnte die Gemeinde ihre Mitteilungen auch selbst im Internet publizieren.
Benedikt Nüssli, Mitbesitzer und Chefredaktor des Reussboten, bekämpfte die neue Gemeindeordnung öffentlich. Er forderte in einem Leitartikel die Rückweisung des Geschäfts. Nüsslis Worte haben offenbar gewirkt.
Die Gemeindeversammlung hat am Montagabend die neue Gemeindeordnung an den Gemeinderat zurückgewiesen. Doch dieser «Sieg» des Reussboten in Mellingen bleibt die Ausnahme. Unzählige Gemeinden publizieren ihre Mitteilungen inzwischen auf der eigenen Website und sparen damit viel Geld.
Lokaljournalismus ist bedroht
Das ist eine akute Bedrohung für viele Lokalzeitungen. Laut einer kürzlich publizierten Studie der Fachhochschule Graubünden, bilden die Mitteilungen der Gemeinden nach der klassischen Werbung deren zweitgrösste Einnahmequelle. Die Digitalisierung habe zu grossen Umwälzungen geführt, heisst es auch hier.
«Gemeinden haben begonnen, eigene Gemeindezeitungen zu publizieren und auf Onlinemedien zu setzen.» Oftmals haben solche Publikationen nichts mit (kritischem) Journalismus zu tun – es sind Verlautbarungen der Behörden. Gleichzeitig nimmt laut Studie die Zahl der Lokalmedien ab.
Zwischen 2011 und 2022 seien rund 100 Lokalzeitungen verschwunden. Nur ein kleiner Teil davon wurde durch neue Online-Angebote ersetzt. Deshalb warnen die Autorinnen und Autoren der Studie: Es könnte zu einer «Entöffentlichung» des Lokalen kommen. Dies sei in den USA bereits in hohem Masse der Fall, wo in vielen Countys Lokalmedien eingestellt wurden und dadurch sogenannte «Nachrichtenwüsten» entstanden seien.
Soweit ist es in der Schweiz nicht: Gemäss Fachhochschule Graubünden existieren noch 489 Lokalmedien, davon 347 Zeitungen. Die Bevölkerung sei weiterhin gut informiert, so das Fazit einer Umfrage unter den Gemeinden.
Wie wichtig lokale Medien für die Information sind, da gehen die Meinungen allerdings auseinander. Die Medienhäuser erachten sich selbst mehrheitlich als sehr wichtig, wie die Umfrage weiter zeigt. Für viele Gemeinden hingegen ist die traditionelle Lokalpresse inzwischen eher zweitrangig.