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«Amtsmüder» NDB-Chef Geheimdienstexperte: «Krise im NDB stellt grosses Risiko dar»

Der Chef des Nachrichtendienstes ist «amtsmüde», das Personal frustriert. Ein Geheimdienstexperte und eine Historikerin sehen darin ein Sicherheitsrisiko.

Worum geht es? Geheimdienstexperten sehen beträchtliche Sicherheitsprobleme beim Nachrichtendienst des Bundes (NDB). Dies, nachdem sich Direktor Christian Dussey diese Woche als «müde» bezeichnet hat. Eine massive Vertrauenskrise beim NDB-Personal verschärft die Risiken. Eigentlich wollte Dussey diesen Sommer abtreten – nun soll er auf Wunsch von Verteidigungsministerin Viola Amherd bis März 2026 ausharren.

Zwei Personen bei einer Pressekonferenz vor Schweizer Flagge.
Legende: Er wollte rascher gehen – sie überzeugte ihn zu bleiben: Christian Dussey und Viola Amherd. KEYSTONE / Peter Schneider

Darf ein Chef des Nachrichtendiensts «amtsmüde» sein? Die Offenheit von Christian Dussey verblüfft die Schweizer Historikerin Aviva Guttmann. «Das kann den Nachrichtendienst verletzlich machen», so die Geheimdienstforscherin. Der deutsche Autor und Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom warnt sogar: «Das ist ein Risiko für das Land.» Er sieht Probleme bei der Zusammenarbeit mit befreundeten ausländischen Nachrichtendiensten: «Sie dürften zurückhaltend sein beim Teilen von gewissen Informationen, bis die Nachfolge geregelt ist.» Konkrete Warnungen etwa vor Terroranschlägen seien davon nicht betroffen. Anders könne es bei gemeinsamen Operationen oder bei Informationen über die Situation im Ukraine-Krieg aussehen. Für solche Kooperationen seien gute Kontakte auf höchster Ebene entscheidend.

Älterer Mann mit Bart und Brille vor blauem Hintergrund.
Legende: Sieht ein Sicherheitsrisiko für die Schweiz: Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom. SRF

Der angeschlagene NDB-Chef soll über ein Jahr im Amt bleiben – mit welchen Folgen? Erich Schmidt-Eenboom urteilt hart: «Das ist für den Schweizer Nachrichtendienst der absolute Stillstand. Es kann nicht ein ganzes Jahr eine schwebende Situation geben, mit einem ‹müden› Direktor.» Historikerin Guttmann sieht in der langen Übergangszeit ein Krisensymptom. Angesichts der internen Probleme sei es allerdings nicht zwingend schlecht, dass es genug Zeit gebe für die Suche nach einem Nachfolger.

Der NDB will mehr Personal

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438 Mitarbeitende hatte der NDB Ende 2023. Das macht ihn laut Aussagen von Direktionsmitglied Juliette Noto an einer Podiumsveranstaltung der Tamedia-Zeitungen zum kleinsten Geheimdienst Europas. Andrea Gmür (Mitte/LU), Präsidentin der Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerates, erklärte in der «NZZ», dass das gleich grosse Österreich rund dreimal mehr Personal zur Verfügung habe. Der Personalbestand ist in den vergangenen Jahren zwar stetig gestiegen. Doch der NDB-Spitze reicht das nicht. Christian Dussey äusserte im letzten Sommer die Forderung nach 150 neue Stellen – erhielt aber nur zehn.

Das Personal misstraut der Führung. Wie riskant ist das? Auf einer Skala von 0 bis 100 bewertete das NDB-Personal im vergangenen November sein Vertrauen in die Führung gerade einmal mit 25. «Ein Sicherheitsproblem», findet Historikerin Guttmann: «Die Forschung zeigt, dass Nachrichtendienst-Mitarbeiter meist aus persönlichen Gründen Geheimnisse verraten – zum Beispiel aus Frustration über ihre Situation.» Das könnten fremde Nachrichtendienste nutzen und NDB-Mitarbeiter angehen.

Frau mit welligem Haar und Brille, roter Schal.
Legende: «Frustrierte Mitarbeiter ziehen fremde Nachrichtendienste an»: Historikerin Aviva Guttmann warnt vor Gefahren. SRF

Was sagt die Aufsichtsbehörde? Die Aufsichtsbehörde über den Nachrichtendienst (AB-ND) warnte vor zwei Jahren bereits vor Geheimnisverrat, Datendiebstahl oder Spionage durch unzufriedene Mitarbeitende. Das Risiko habe sich vergrössert, schrieb die Behörde damals. Sie beobachte die Entwicklungen in diesem Thema weiterhin, heisst es heute bei der AB-ND auf Anfrage. Immerhin stimme die Richtung von getroffenen Massnahmen im Personalbereich.

Welche Möglichkeiten hat der neue Verteidigungsminister? Dem Nachfolger von Bundesrätin Amherd steht es frei, die Spitze des NDB rascher neu zu besetzen als geplant. «Der Neue sollte durchgreifen, Führungsstärke beweisen und Herrn Dussey in den Ruhestand schicken», rät Erich Schmidt-Eenboom. Bundesratskandidat Markus Ritter hingegen äusserte sich diese Woche positiv über die lange Übergangszeit: «Ich denke, das ist wichtig in dieser Phase», sagte er im SRF-Tagesgespräch. Sein Konkurrent Martin Pfister liess lediglich verlauten, er wolle jetzt, im Wahlkampf, die Entwicklungen und allfällige Hintergründe nicht kommentieren.

Echo der Zeit, 26.2.2025, 18:00 Uhr

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