Anne Lévy steht vom ersten Tag an als Chefin des Bundesamts für Gesundheit (BAG) unter öffentlicher Beobachtung. Sie ist als Krisenmanagerin gefordert, falls die Coronafallzahlen in den Wintermonaten wieder steigen. Sie muss aber auch Ideen liefern, um die Gesundheitskosten in der Schweiz zu senken.
Der langjährige Basler Gesundheitsdirektor Carlo Conti ist überzeugt: Sie ist dieser Aufgabe gewachsen. «Frau Lévy ist eine Person mit klaren Vorstellungen und weiss, was sie will. Sie erarbeitet sich eine fundierte Meinung.» Sie sei aber auch offen für überzeugende Argumente und bereit, die eigene Position zu hinterfragen.
Conti kennt Lévy gut. Er holte die 48-Jährige vor zwölf Jahren vom BAG, wo sie die Abteilung Alkohol und Tabak leitete, ins Basler Gesundheitsdepartement, wo sie eine Kaderfunktion übernahm.
Viele Vorschusslorbeeren
Lévy arbeitet schon seit Jahrzehnten in leitenden Funktionen im Gesundheitswesen. Zuletzt war sie Direktorin der Universitären Psychiatrischen Kliniken in Basel – und dort Vorgesetzte von mehr als 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Die Politikwissenschaftlerin bringt jedoch kein medizinisches Fachwissen für Amt der BAG-Chefin mit. Einzelne Medien haben dies kritisiert, zumal es in der gesamten Geschäftsleitung des Bundesamtes bloss einen Mediziner gibt.
Anne Lévy hat sehr gute Voraussetzungen für dieses Amt.
Das fehlende medizinische Wissen sehe er aber nicht als Problem, findet der Präsident der Gesundheitsdirektorenkonferenz, Lukas Engelberger, der mit Lévy in Basel zusammengearbeitet hat: «Man kann eine Vertrautheit mit dem Gesundheitswesen und ein Verständnis für gesundheitspolitische Sachfragen haben, ohne selber Ärztin oder Arzt zu sein.»
Lévy kenne das schweizerische Gesundheitswesen sehr gut und sei hervorragend vernetzt. «Das sind sehr gute Voraussetzungen für dieses Amt», ist Engelberger überzeugt.
Viele Akteure im Gesundheitswesen hoffen, dass die neue BAG-Chefin auch eine profilierte Führungspersönlichkeit ist. Profilierter als ihr Vorgänger Pascal Strupler. Eine Hoffnung, die sich erfüllen könnte.
Wegbegleiter beschreiben sie als Person, die privat nett und umgänglich sei. Im beruflichen Umfeld aber trete sie äusserst bestimmt, beinahe schon hart auf. Es gibt auch kritische Stimmen zu Lévy. Diese wollen sich aber nicht öffentlich äussern. Eine Schwäche sei, dass ihr bisweilen das Fingerspitzengefühl fehle.
Fettnäpfchen beim Abgang
Dies zeigt eine Episode aus der Psychiatrie in Basel. Sie dankte ihrem Pflegedienst für den harten Einsatz während der Coronazeit – mit einem Gutschein für eine Verpflegung in der Betriebskantine. Verschiedene Mitarbeiter fanden, ein solches Geschenk hätte sich die Direktorin sparen können.
Als Chefin der Psychiatrie in Basel hat Lévy aber auch bewiesen, dass sie Konflikte lösen kann. Als sie die Stelle antrat, schwelte ein jahrelanger Streit über den Standort der Jugendpsychiatrie. Innert weniger Tage präsentierte sie einen Kompromiss, mit dem alle Beteiligten leben konnten.
Peter Schwob, Co-Präsident des Verbandes der Psychotherapeuten beider Basel, erinnert sich: «Wir hatten vorher gefühlte 1000 Sitzungen. Jahrelang ging überhaupt nichts. Dieser neue Auftritt von Frau Lévy war der Wendepunkt.»
Die Fähigkeit, Konflikte zu lösen und schnelle Lösungen zu präsentieren, kann Lévy gebrauchen – in einem der schwierigsten Jobs in Bundesbern.