«Es wird hier suggeriert, Alain Berset habe systematisch Informationen geleakt und er habe darüber Bescheid gewusst», sagte SP-Vizepräsidentin Jacqueline Badran in der «Arena» am Freitagabend. Es handle sich hierbei um ein «Sammelsurium an Unterstellungen».
Politik und Medien sollten sich mit Vorverurteilungen zurückhalten, so Badran weiter. Eine Amtsgeheimnisverletzung sei zwar gravierend, müsse untersucht und gegebenenfalls geahndet werden. Es sei aber keineswegs klar, ob eine solche auch tatsächlich vorliege.
Mit Jacqueline Badran äusserte sich erstmals ein Mitglied der SP-Parteispitze zu den Indiskretionen, welche CH Media publik gemacht hatte. Diese zeigen, dass der ehemalige Kommunikationschef von SP-Bundesrat Alain Berset während der Corona-Pandemie systematisch vertrauliche Informationen an Ringier-CEO Marc Walder weitergegeben haben soll. Die Rede ist von 180 Mails.
Dieser Darstellung widersprach Jacqueline Badran in der «Arena». Es handle sich bisher um lediglich zwei relevante Mails. Von einer systematischen Weitergabe von vertraulichen Informationen könne keine Rede sein. Man habe es hier womöglich mit einer Kampagne gegen Berset und die SP zu tun, deutete Badran an.
Anders als Badran ordnete Markus Somm, Chefredaktor «Nebelspalter», die Angelegenheit ein: «Es ist skandalös, wie systematisch und regelmässig Informationen ausgetauscht wurden.» Es handle sich um einen schwerwiegenden Fall grossen Ausmasses. Der «Blick» habe mit der vorzeitigen Veröffentlichung von Informationen den Bundesrat unter Druck gesetzt und mithin Entscheidungen vorweggenommen.
«Sollte Berset davon gewusst haben, muss er gehen. Bundesräte mussten schon wegen weniger gravierender Vorwürfe zurücktreten.» Somm spielte damit auf den Rücktritt von Alt-Bundesrätin Elisabeth Kopp an, welche 1988 wegen einer angeblichen Amtsgeheimnisverletzung zurücktrat, später jedoch vom Bundesgericht freigesprochen wurde.
Der Investigativjournalismus beruht in 99 Prozent der Fälle auf Dossiers, die eine untreue Seele dem Journalisten in die Hände gedrückt hat.
Die Macht des «Blicks» dürfe man nicht überschätzen, entgegnete Peter Rothenbühler, ehemaliger Chefredaktor «Sonntagsblick». Es sei ausgeschlossen, dass Medien den Bundesrat auf diese Weise beeinflussen könnten. Ausserdem sei es nichts als normal, dass Zeitungen vertrauliche Informationen zugespielt bekommen. «Investigativer Journalismus beruht in 99 Prozent der Fälle auf Dossiers, die eine untreue Seele dem Journalisten in die Hände gedrückt hat.» Es sei Aufgabe der Journalistinnen und Journalisten dann herauszufinden, ob die zugespielten Informationen stimmen.
Welche Rolle spielen die Medien?
«Indiskretionen gehören nicht nur zu unserem Informationssystem, sie sind auch vom System gewollt», erklärte Andrea Masüger, Präsident des Verlegerverbands Schweizer Medien. So habe es in der Vergangenheit viele Fälle gegeben, die nur über Indiskretionen ans Licht gekommen seien. Wenn vertrauliche Informationen veröffentlicht werden, dann sei das ein Problem der Politik, aber nicht der Medien. «Wenn Medienschaffende Informationen erhalten, die stimmen, dann ist es in einer freien, offenen Gesellschaft Courant normal diese zu publizieren.»
Ein Amtsgeheimnis muss gewahrt werden, von der Justiz, den Medien sowie den politischen Behörden.
«Den Medien steht zur Informationsbeschaffung das Öffentlichkeitsgesetz zur Verfügung», konterte Mitte-Ständerat Daniel Fässler. Mit diesem Instrument könne man amtliche Dokument einfordern. Indiskretionen hingegen seien schädlich für die demokratischen Institutionen.
Die Arbeit in politischen Gremien werde dadurch massiv erschwert, so Fässler. «Dass es verschiedene Qualitäten von Indiskretionen gibt, möchte ich in Abrede stellen.» Ein Amtsgeheimnis sei in jedem Fall zu wahren. Ständerat Fässler forderte deshalb, dass die Angelegenheit rund um Bundesrat Berset untersucht wird.
Was genau geschehen ist, ist Gegenstand einer laufenden Untersuchung. Es gilt die Unschuldsvermutung. Anfangs kommender Woche entscheiden die Geschäftsprüfungskommissionen von National- und Ständerat, ob und wie sie in dieser Sache aktiv werden wollen.