Bis 2050 könnte gemäss Schweizer Kompetenzzentrum für Energieforschung die Stromnachfrage in der Schweiz um bis zu 50 Prozent steigen; insbesondere wegen der Elektrifizierung beim Transport und Heizen. Weil überdies mit weniger Stromimporten aus der EU zu rechnen ist, droht der Schweiz möglicherweise eine Stromlücke. Auch der derzeitige Krieg in der Ukraine gefährdet die Versorgungssicherheit zusätzlich.
In der Frage, woher in Zukunft bei einer allfälligen Strommangellage unser Strom kommen soll, gingen die Meinungen in der «Arena» weit auseinander.
Die Energiestrategie des Bundes ist nicht mehr zeitgemäss.
«Diese riesige Stromlücke können wir nicht ohne Kernenergie schliessen», sagte Evelyn Motschi in der Sendung am Freitagabend. Für die Jungfreisinnige ist klar, dass neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien nun auch «kurzfristige Massnahmen» angebracht sind: «Ein Strommix muss her.»
Die Erhaltung der bestehenden Atomkraftwerke sei dabei unabdingbar. Auch den Neubau von KKW der neuesten Generation schloss Motschi nicht aus. Ihr Verdikt zur Energiestrategie des Bundes: «Sie ist schlicht nicht mehr zeitgemäss.»
Den gestandenen Politikerinnen und Politikern in der Hauptrunde auf Augenhöhe begegnend, heizte die Jungpolitikerin die Diskussion um die zukünftige Strom- und Energieversorgung an.
Direkt angesprochen war Stefan Müller-Altermatt. Der Mitte-Nationalrat hatte als damaliger Präsident der nationalrätlichen Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie die Energiewende und mithin den Ausstieg aus der Atomenergie mitgeprägt.
Ein neues AKW kommt viel zu spät und ist zudem die teuerste Stromquelle, die man erbauen könnte.
Den Bau neuer Kernkraftwerke als kurzfristige Lösung zu fordern, sei illusorisch, konterte Müller-Altermatt. Rechnete man Investoren- und Standortsuche sowie den Bau des Kraftwerks mit ein, vergehe viel Zeit. Bis dann müsse das Stromproblem längst gelöst sein. «Ein neues AKW kommt viel zu spät und ist zudem die teuerste Stromquelle, die man bauen kann.»
Motschi hielt ihm entgegen, dass auch erneuerbare Energien nicht von heute auf morgen bereitgestellt werden könnten, und wirft der linken Seite fehlenden Pragmatismus vor. «Wir müssen weg von diesem idealistischen Denken.» Es sei schlicht nicht tragbar, jetzt die AKWs abzuschalten.
Förderung erneuerbarer Energien statt AKW-Subventionierung?
Die Lösung sei «eine geschickte Kombination von erneuerbaren Energien, die sich gegenseitig flexibel ergänzen», widerspricht ihr SP-Nationalrätin Gabriela Suter. Es sei ein Trugschluss zu glauben, das funktioniere auch mit der «Uralt-Technologie Atomkraft», die Bandenergie produziere.
Würden die erneuerbaren Energieträger auf den zur Verfügung stehenden Flächen ausgebaut, könnte die Schweiz mehr Strom produzieren, als sie heute verbraucht. Suter nennt als konkrete Beispiele etwa Solarpanels auf Hausdächern oder Fotovoltaikanlagen in den Alpen.
«Wir sind jahrelang auf der Bremse gestanden bei den erneuerbaren Energien», bemängelt die SP-Nationalrätin. Die Diskussion um neue AKW verhindere dabei echte Lösungen. «Kommt hinzu, dass das Entsorgungsproblem nicht gelöst ist: Es gibt weltweit kein funktionierendes Tiefenlager für hochradioaktive Abfälle», sagte Suter.
Auch bei der Zuständigkeit stehen Fragezeichen
Auch die neuesten Forderungen vonseiten des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse kamen in der «Arena» zur Sprache. Präsident Christoph Mäder hatte unlängst vorgeschlagen, dass Kernkraftwerke mit staatlichen Geldern gefördert werden sollen, wenn sie für den Betreiber nicht mehr rentabel sind.
«Wir wollen Technologieoffenheit», präzisierte Monika Rühl, Direktorin des Wirtschaftsdachverbands. Einer etwaigen Strommangellage sei in erster Linie mit Wasserkraft, Solar- und Windenergie entgegenzuwirken. Sollten die Erneuerbaren aber nicht ausreichen, um die Versorgungssicherheit das ganze Jahr über zu gewährleisten, müsse die Möglichkeit bestehen, die bestehenden Kernkraftwerke länger zu betreiben.
«Es geht darum, AKW nicht leichtfertig und überhastet abzuschalten, nur um dann überrascht zu sein, dass wir zu wenig Strom haben.» Dabei müsse stets die Sicherheit der bestehenden AKW gewährleistet sein, betonte Monika Rühl.
Die Schweiz hat keine Strategie für die künftige Stromversorgung.
Als Befürworter von neuen AKW bemängelte derweil SVP-Nationalrat Imark die Energiestrategie des Bundesrats. Diese sei planlos. «Die Schweiz hat keine Strategie für die künftige Stromversorgung.» Für Imark ist deshalb klar, dass es jetzt einer schonungslosen Analyse der Situation bedarf. «Wir müssen das Problem erkennen, bevor wir zu einer Lösung kommen.»
Ob die Lösung mit oder ohne Atomstrom daherkommt – der Tenor bei den engagiert mitdiskutierenden Publikumsgästen in der «Arena» war eindeutig, als sie am Schluss der Sendung nochmals zu Wort kamen: «Wir müssen vorwärtsmachen.»