Gewisse Länder sollen Schweizer Kriegsmaterial künftig nach einer Sperrfrist von fünf Jahren weitergeben können – auch an die Ukraine. Die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats (SiK-S) hat gestern einem Vorstoss, der auf FDP-Präsident Thierry Burkart und SVP-Ständerat Werner Salzmann zurückgeht, zugestimmt.
«Das Kriegsmaterialgesetz muss korrigiert werden. Damit stärken wir die Sicherheit unseres Landes», sagte Salzmann, der die SiK-S präsidiert, in der «Arena». Die Schweiz dürfe sich keinesfalls in den Krieg einmischen. Aber damit die Schweiz neutral sein könne, brauche sie auch eine verteidigungsfähige Armee, die unabhängig agieren könne. Dazu benötige diese die Rüstungsindustrie, die ihrerseits stark auf den Export angewiesen ist.
Mit Blick auf die Situation in der Ukraine verlangen derzeit mehrere parlamentarische Vorstösse eine Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes. Dadurch ist die Debatte um die Schweizer Neutralität erneut entbrannt.
Grenzen der Neutralität
Für SP-Nationalrätin Franziska Roth etwa ist Salzmanns Vorschlag ein Vorwand, um die Rüstungsindustrie zu stärken. «Man sagt ‹Neutralität› und meint damit ‹Geschäfte machen›. Das finde ich nicht angebracht in dieser Situation.»
Im Sinn eines Kompromisses will die SP dafür eine eng gefasste Ausnahme im Kriegsmaterialgesetz für die Selbstverteidigung der Ukraine gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zulassen. «Es ist sinnvoll, wenn wir uns auf die Entscheide der UNO stützen», so Roth. Wenn die UNO einen Konflikt als völkerrechtswidrig einstuft, soll die Weitergabe von Schweizer Waffen möglich sein.
Für Grünen-Ständerat Mathias Zopfi sind diese Bestrebungen unverständlich: «Nur zwei Jahre nach der Verschärfung des Kriegsmaterialgesetzes versucht man unter dem Vorwand der Solidarität, das Recht auszuhebeln.» Der Wert der Neutralität zeige sich aber gerade in Zeiten des Konflikts und da gelte es, konsequent zu bleiben.
Wir sind mitten in Europa und müssen uns solidarisch zeigen.
«Es ist nicht die Rolle der Schweiz, die Ukraine mit Waffen zu unterstützen – sondern mit humanitärer Hilfe oder Schutzmachtmandaten», so Zopfi. Zudem sei die Finanzierung des Aggressors über die Schweiz zu verhindern.
Anders sieht das FDP-Nationalrätin Maja Riniker: «Wir sind mitten in Europa und müssen uns solidarisch zeigen.» Das stärke auch die eigene Sicherheit. Riniker unterstützte deshalb den ursprünglichen Vorstoss von FDP-Präsident Burkart, der vorsieht, dass Länder, die die Werte der Schweiz teilen und über ähnliche Exportkontrollen verfügen, keine Wiederausfuhrerklärung unterschreiben müssen.
Zudem sei auch zu prüfen, ob eingelagerte Leopardpanzer aus der Ostschweiz an europäische Länder verkauft werden könnten, die ihrerseits Panzer an die Ukraine abgegeben haben, so Riniker. Ein Vorstoss, den die SiK-S gestern allerdings abgelehnt hat.
Grosses Eskalationsrisiko des Krieges
Nach Einschätzung von Marcel Berni, Strategieexperte an der Militärakademie der ETH Zürich, hätten die Waffenlieferungen einerseits dazu beigetragen, dass die Ukraine ihr Territorium bislang habe halten können.
Andererseits würden sie aber zu einer Rüstungsspirale führen: «Die Ukraine und Russland wollen beide die erstarrten Fronten aufbrechen. Sie sind in einem Abnutzungskrieg und versuchen, die jeweils andere Seite ausbluten zu lassen.» Der Krieg berge ein grosses Eskalationsrisiko, wobei etwa andere Länder hineingezogen werden könnten. Leider sei ein Ende des Krieges derzeit nicht abzusehen.
«Wir sehen, dass sich die Friedensdividende langsam erschöpft und die Neutralen in Europa wegbrechen. So schliessen sich etwa Schweden und Finnland der Nato an», so Berni. Dadurch sei die Neutralität in der Schweiz, wie schon in vergangenen Kriegen, wieder umstritten. Allerdings könnte das auch parteipolitischen Interessen und dem nahenden Wahlkampf zuzurechnen sein.