In der Schweiz hergestellte Waffen sollen weitergegeben werden können, wenn die Lieferung im Zusammenhang mit dem russischen Krieg in der Ukraine steht, oder wenn sich die Weitergabe auf eine Situation bezieht, welche die UNO als Widerspruch zum völkerrechtlichen Gewaltverbot deklariert.
Diese zwei Vorschläge hat die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats angenommen. Doch sind diese Vorstösse vereinbar mit dem Neutralitätsrecht? Völkerrechtsprofessorin Evelyne Schmid klärt auf.
SRF News: Frau Schmid, der eine Vorstoss will, dass andere Länder Schweizer Kriegsmaterial an die Ukraine ausnahmsweise weitergeben können. Ist das nicht eine Verletzung des Neutralitätsrechts?
Dieser Vorschlag scheint mir tatsächlich nicht haltbar, weil gemäss Neutralitätsrecht ein neutraler Staat zwar Kriegsmaterial exportieren darf, aber alle Kriegsparteien gleich behandeln muss. Diese Regel stammt aus dem Haager Abkommen und die Schweiz kann sie nicht einseitig abändern.
Meines Erachtens gilt diese Regel auch für Exporte, die indirekt zustande kommen. Das heisst, ein neutrales Land muss auch da die Regeln gleichmässig anwenden, und zwar unabhängig davon, warum ein Staat in den Krieg gezogen ist. Nun will diese parlamentarische Initiative explizit eine der Kriegsparteien bevorzugen und das steht meines Erachtens im Widerspruch zum Kern des Neutralitätsrechts.
Und der zweite Vorstoss?
Diese Motion ist weniger problematisch. Sie sieht eine allgemeine Regel vor, die dem Bundesrat die Möglichkeit lässt, sie gleichmässig auf alle Kriegsparteien anzuwenden. Der Vorschlag stützt sich auf einen Entscheid der UNO-Generalversammlung und könnte auch in Zukunft auf andere Kriege Anwendung finden.
Die Motion könnte im Anwendungsfall Kopfschmerzen bereiten.
Allerdings könnte er im Anwendungsfall Kopfschmerzen bereiten. Es könnte etwa sein, dass ein anderes Land, welches Schweizer Kriegsmaterial besitzt, dieses Material an Russland weitergeben will. Und dann ist der Bundesrat in einer ungemütlichen Lage. Er muss dann entweder sehr unerwünschten Weitergaben zustimmen oder neutralitätsrechtlich akrobatisch argumentieren.
Das Neutralitätsrecht bezieht sich auf die Haager Abkommen, die mehr als 100 Jahre alt sind. Kann ein neutraler Staat wie die Schweiz nicht sagen, dass man die Neutralität im 21. Jahrhundert neu definieren will?
Völkerrechtliche Verträge haben in der Regel kein Ablaufdatum, ausser die Staaten haben das explizit so definiert. Nur weil ein Abkommen alt ist, verliert es nicht an Gültigkeit. Aber: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde mit der UNO-Charta ein ganzes Regelwerk geschaffen, das Krieg verbietet. Russland hat gegen dieses Verbot eindeutig verstossen. Das wirft die Fragen auf, was das für ein neutrales Land bedeutet und ob wir überhaupt noch neutral sein wollen.
Zusammengefasst: Der erste Vorschlag will explizit eine Ausnahme für die Ukraine. Das wäre eine Abkehr von der Neutralität. Und der andere Vorschlag macht eine Ausnahme, wenn die UNO eine Verletzung des Gewaltverbots sieht. Das wäre eine Neuinterpretation der Neutralität.
Es wäre zumindest eine Gratwanderung zwischen dem Versuch, die Vorzüge der Neutralität zu behalten, und gleichzeitig die Flexibilität doch da zu erhöhen, wo eben ein ganz eindeutiger Verstoss gegen die UNO-Charta vorliegt.
Das Gespräch führte Sandro Della Torre.