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Atom-Endlager in Stadel ZH Nagra-Chef: «Es gibt keinen Plan B»

Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) hat das Rahmenbewilligungsgesuch für den Bau eines Endlagers im Gebiet Nördlich Lägern eingereicht. Nagra-Chef Matthias Braun erklärt, wie Atomabfälle eine Million Jahre sicher gelagert werden sollen – und was passiert, wenn das Projekt politisch scheitert.

Matthias Braun

CEO der Nagra

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Matthias Braun ist seit Mai 2021 Vorsitzender der Geschäftsleitung der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra). Zuvor arbeitete der Geologe unter anderem für Shell International in London.

SRF News: Das Lager soll in rund 900 Metern Tiefe in einer Schicht des Opalinustons entstehen, die sich gut für den Einschluss solcher Materialien eignet. Im Gesuch wurden nun die Eckwerte definiert. Wie wird es dereinst unter der Erde aussehen?

Wir haben zunächst ein oberirdisches Lager. Dort befinden sich die Zugänge zum Tiefenlager. Im Moment denken wir über Schächte oder Rampen nach, mit denen wir in den Untergrund kommen. In etwa 900 Metern Tiefe wird zunächst ein Zentralbereich gebaut. Darin wird es Fahrzeuge und Werkstätten geben, ähnlich wie in einer Tunnelbaustelle. Wenn wir uns etwas von diesem Zentralbereich entfernen, wird es Pilotlager geben, die gesetzlich vorgeschrieben sind.

Wir werden dort Experimente durchführen, um zu zeigen, dass das Material im Notfall sofort zurückgeholt werden kann. Wenn wir uns noch etwas weiter von den Pilotlagern entfernen, kommen wir zu den eigentlichen Lagern. Auf der einen Seite das Lager für schwach- und mittelaktive Abfälle, und auf der anderen Seite das Lager für hochaktive Abfälle. Aber auch hier gilt: Die Abfälle müssen im Notfall schnell zurückgeholt werden können.

Sie wollen etwas bauen, das eine Million Jahre überdauern soll. Wie soll das gehen?

Ist das nicht faszinierend? Es geht nämlich eigentlich gar nicht. Was wir bauen, wird kaum eine Million Jahre überstehen. Aber wir bauen es ja in ein Gestein hinein. Und auf dieses setzen wir: Dieses wird diesen Zeitraum überdauern, das ist unsere wichtigste Sicherheitsbarriere.

Blick auf den Ort für das Tiefenlager
Legende: Seit September 2022 ist bekannt, dass das Atommüll-Endlager in der Zürcher Gemeinde Stadel gebohrt werden soll, genauer im Haberstal. Keystone/Ennio Leanza

Zurzeit wird in der Schweiz über den Bau neuer Kernkraftwerke diskutiert. Das aktuelle Tiefenlager ist für die Abfälle der bestehenden Kernkraftwerke ausgelegt. Hätten wir überhaupt genügend Platz für die Abfälle von zusätzlichen AKWs?

Das Lager ist tatsächlich für die Abfälle aus den bestehenden Anlagen konzipiert. Solange neue Anlagen gesetzlich verboten sind, können wir diese auch nicht in unser Bauvorhaben einkalkulieren. Ob die Anlage dann tatsächlich zu klein ist, ist schwer zu sagen. Da wir nicht wissen, welche Kraftwerke gebaut werden, wissen wir auch nicht, wie die Abfälle aussehen könnten. Das sind viele Unbekannte, über die wir uns im Moment keine Gedanken machen. Wir konzentrieren uns auf die Abfälle, die wir haben.

Es gibt keinen Plan B. Wenn es nicht klappt, stehen wir wieder am Anfang und die Politik ist gefordert.

Wäre es theoretisch möglich, das Lager nachträglich zu erweitern?

Rein von der Geologie her hätte es noch Platz, der sichere Bereich ist grösser als das geplante Lager. Aber es ist eine sehr hypothetische Frage. Es bräuchte zuerst nicht nur ein neues Bewilligungsverfahren, sondern man müsste grundsätzlich die Gesetze ändern, damit neue Kernkraftwerke überhaupt gebaut werden dürfen. Jede Kernanlage müsste wieder das dreistufige Verfahren durchlaufen.

Zuerst müssen nun die Behörden, der Bundesrat und das Parlament das Projekt prüfen, danach könnte es zu einer Volksabstimmung kommen, diese wäre etwa im Jahr 2031. Gibt es einen Plan B, sollte das Projekt scheitern?

Nein. Wir sind überzeugt, den sichersten Standort gefunden und eine gute Lösung erarbeitet zu haben. Es gibt keinen Plan B. Wenn es nicht klappt, stehen wir wieder am Anfang und die Politik ist gefordert.

Aus dem Tagesgespräch mit Simone Hulliger, Mitarbeit Géraldine Jäggi.

Standortsuche: Eine Chronologie zum jahrzehntelangen Prozess

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1972: Gründung der Nagra. Ihr Auftrag: «Die Genossenschaft bezweckt als Selbsthilfeorganisation der Partner die Errichtung und den Betrieb von Lagern für radioaktive Abfälle und der dazu notwendigen Anlagen.»

1980er-Jahre: Nagra treibt an verschiedenen Standorten Tiefenbohrungen voran, um Erkenntnisse über den geologischen Aufbau der Schweiz zu erhalten

1988: Bundesrat erachtet den Entsorgungsnachweis für die schwach- und mittelaktiven Abfälle in der Schweiz als erbracht

1993/1994: Nagra schlägt nach ihren Abklärungen zwei Lagerstandorte vor (Wellenberg NW und Benken ZH)

1995/2002: Nidwaldner Stimmvolk sagt Nein zu Plänen für ein Lager

20. Dezember 2002: Nagra erklärt nach Untersuchungen im Zürcher Weinland das dortige Opalinuston-Gestein als geeignet für Tiefenlager

28. September 2004: Bundesrat Moritz Leuenberger fordert, Alternativen zum Endlager Benken ZH zu prüfen

2. April 2008: Bundesrat gibt grünes Licht für die Standortsuche

6. November 2008: Bundesamt für Energie bezeichnet sechs Regionen, in denen ein Tiefenlager möglich ist

21. November 2018: Bundesrat entscheidet, dass die Standorte Jura Ost (AG), Nördlich Lägern (AG/ZH) und Zürich Nordost (Weinland, ZH/TG) vertieft geprüft werden sollen

2019–2022: Nagra führt Untersuchungen durch, konkretisiert Lagerprojekte und erforscht die Auswirkungen der Lager auf Gesellschaft und Wirtschaft

12. September 2022: Nagra schlägt die Region Nördlich Lägern in der Zürcher Gemeinde Stadel vor

18. Oktober 2022: Deutsche Expertengruppe Schweizer Tiefenlager hält den vorgeschlagenen Standort für sicherheitstechnisch am besten geeignet

15. November 2024: Komitee fordert, dass das nationale Stimmvolk über das Projekt entscheiden kann

19. November 2024: Nagra reicht Rahmenbewilligungsgesuch für Tiefenlager in Stadel ein

Tagesgespräch, 19.11.2024, 13 Uhr ; 

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