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Aufklärung von Mordfällen «Verjährung ist für die Angehörigen ein Desaster»

Der «Kristallhöhlenmord» der 1980er-Jahren hat die Verjährungsdebatte befeuert und zeigt: Dass ein Täter nach so langer Zeit nicht mehr bestraft werden kann, ist nicht das zentrale Problem – sondern, dass der Fall nicht aufgeklärt werden darf.

Am Donnerstag entscheidet der Ständerat über die Unverjährbarkeit von Mord. Eingebracht hat das Anliegen SVP-Nationalrat Mike Egger aus dem St. Galler Rheintal.

Das ist kein Zufall. «Im Rheintal sind wir von einem verjährten Mordfall betroffen – dem Kristallhöhlenmord – und die Bevölkerung wühlt das heute noch auf», erzählt Egger.

Der «Kristallhöhlenmord»

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Landschaft
Legende: Im idyllischen St. Galler Rheintal wurden 1982 zwei tote Mädchen gefunden. KEYSTONE/Gian Ehrenzeller

Im Sommer 1982 verschwanden die 17-jährige Brigitte Meier und ihre 15-jährige Freundin Karin Gattiker auf einer Velotour. Neun Wochen später entdeckte ein Wanderer die stark verweste Leiche des älteren Mädchens unter einer schweren Steinplatte bei der Kristallhöhle Kobelwald im St. Galler Rheintal. Kurz darauf fand die Polizei auch die Leiche des jüngeren Mädchens – in einer kleinen Höhle versteckt. Die genaue Todesursache konnte wegen der Verwesung nicht mehr festgestellt werden. Der Mord ist bis heute ungeklärt.

Was viele nicht wissen: Verjährung bedeutet nicht nur, dass ein Täter nicht mehr bestraft werden darf, sondern auch, dass die Behörden nicht mehr ermitteln dürfen – sogar dann, wenn neue Beweise auftauchen.

Parlamentarier vor Rednerpult
Legende: SVP-Nationalrat Mike Egger engagiert sich für die Unverjährbarkeit von Mord. Als Rheintaler hat ihn erschüttert, dass der «Kristallhöhlenmord» zu den Akten gelegt wird. KEYSTONE/Anthony Anex

So wie beim ungelösten Doppelmord an zwei jungen Mädchen 1982 bei der Kristallhöhle in Oberriet SG: Weil die Tat verjährt ist, dürfen die Behörden seit 2012 nicht weiter ermitteln. Das gilt jedoch nicht für Privatpersonen: Mehrere Buchautoren, ein deutscher Profiler und ein engagierter Hobby-Ermittler haben weitergesucht.

Parlament entscheidet über Unverjährbarkeit von Mord

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Nachdem sich der Nationalrat dafür ausgesprochen hat, dass Mord – wie Kriegsverbrechen oder Sex mit Kindern – nie verjähren soll, entscheidet am Donnerstag der Ständerat.

Die Befürworter der Unverjährbarkeit argumentieren, für die Angehörigen der Opfer sei es auch nach Jahrzehnten wichtig, dass ein Verbrechen geklärt und der Mörder zur Verantwortung gezogen wird.

Die Gegner warnen vor falschen Hoffnungen: Ein Verbrechen nach Jahrzehnten aufzuklären, sei schwierig. Zudem könne eine Bestrafung nach so langer Zeit unverhältnismässig sein.

Der Rheintaler Hobby-Detektiv Thomas Benz war ein Kind, als die Leichen der jungen Mädchen bei der Kristallhöhle gefunden wurden. «Meine Grosseltern wohnten in der Nähe, und ich war als Kind oft in der Kristallhöhle. Dass dort ein Verbrechen geschah, war für mich erschreckend», erzählt der heute 50-Jährige. Der Mord liess ihn nie mehr los.

Sie wissen, wer der Mörder sein könnte

Durch jahrelange Recherchen ist er auf neue Indizien und Zeugenaussagen gestossen. «Es ist schlimm, zu wissen, dass der Mord verjährt ist und alles Material nichts mehr nützt», sagt Benz. Gegenüber den Medien darf er nicht sagen, auf wen die von ihm gesammelten Indizien hinweisen – ohne Gerichtsurteil könnte das eine Falschanschuldigung sein.

Auch der deutsche Profiler Axel Petermann hat sich den Fall angesehen und ist zu einem konkreten Schluss gekommen, aber: «Dieses Delikt ist verjährt, demzufolge darf kein Verdächtiger namentlich benannt werden.» Wäre das Verbrechen mit heutigen Methoden untersucht worden, hätte es laut dem Kriminalisten Chancen gegeben, die Täterschaft zu identifizieren.

Für die Angehörigen «ein Desaster»

Dass verjährte Verbrechen nicht mehr untersucht werden, ist laut Petermann für die Angehörigen «ein Desaster». «Ich kenne viele Menschen, die Angehörige durch ein Verbrechen verloren haben, und ich weiss, dass sie wissen möchten, was genau geschehen ist, wer verantwortlich ist und warum ausgerechnet ihre Tochter, Sohn oder Frau das Opfer sein musste.»

DNA-Auswertung schafft Jahrzehnte später Klarheit

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Mann von Sicherheitskräften begleitet.
Legende: Der mehrfache Kindermörder Werner Ferrari wurde 2007 vom Mord an einer 12-Jährigen – den er im Unterschied zu den anderen Morden stets bestritten hatte – freigesprochen. KEYSTONE/Walter Bieri

Ein Beispiel einer späten Aufklärung: der Fall der 12-jährigen Ruth, die 1980 im aargauischen Würenlos sexuell missbraucht und ermordet wurde. Für die Tat zur Rechenschaft gezogen wurde zunächst Werner Ferrari, der in den 1980er-Jahren mehrere Kinder ermordet hatte.

Jahrzehnte später meldete sich eine Zeugin, die den Mord als Kind mitangesehen hatte und behauptete, es sei nicht Ferrari gewesen. Nach einer Exhumierung und DNA-Auswertung eines auf der Leiche gefundenen Schamhaars konnte - wenige Jahre vor der Verjährung - ein inzwischen Verstorbener als Täter ausgemacht werden. Wäre der Mord verjährt gewesen, hätten die Eltern von Ruth nie erfahren, wer der wahre Mörder ihrer Tochter ist.

Petermann hat einen Mordfall aus den 1970er-Jahren in Deutschland gelöst, wo Mord nie verjährt. «Der Täter lebte nach fast 40 Jahren nicht mehr, aber für die Angehörigen war es eine grosse Erleichterung zu wissen, wer von den drei damals Verdächtigen die Tat zu verantworten hatte.»

Zu Unrecht Verdächtigte können nie entlastet werden

Beim «Kristallhöhlenmord» standen ebenfalls verschiedene Männer unter Verdacht, einer kam sogar in Untersuchungshaft.

Sowohl Benz als auch Petermann geben zu bedenken, dass Verjährung auch zur Folge hat, dass Unschuldige nicht mehr entlastet werden können. «Der Druck, dem Verdächtige ausgesetzt sind, ist immens», sagt Petermann. «Die Zweifel der Ehepartnerin, der Kinder, der Freunde: War er es vielleicht doch?» Es wäre laut Petermann Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass unschuldig Verdächtigte rehabilitiert werden.

Barchetsee-Mord nach bald 20 Jahren geklärt

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Im Thurgauer Barchetsee trieb 2007 die Leiche eines erschossenen Mannes. Der Fall blieb jahrelang ungelöst. 2018 nahmen die Ermittler einen neuen Anlauf, den «Cold Case» aufzuklären. Dank der Sendung «Aktenzeichen XY ungelöst» gingen nützliche Hinweise ein. Ein Verdächtiger konnte verhaftet und vor Gericht gestellt werden. Anfang März 2025 hat das Obergericht seine Verurteilung bestätigt. Diese Erfolgsgeschichte war nur möglich, weil der Fall nicht verjährt ist.

Regionaljournal Ostschweiz, 6.3.2025, 17:30 Uhr

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