Die SBB soll ihr Fernverkehrsmonopol mehrheitlich behalten, doch die BLS darf zwei Interregio-Strecken übernehmen. So schlägt es das Bundesamt für Verkehr vor.
Wenig begeistert vom Vorschlag des BAV ist der Infrastruktur-Experte Matthias Finger. Er befürchtet bloss höhere Kosten und keine Vorteile. Auch ändere sich für den Kunden rein gar nichts.
SRF News: Sie bezeichnen den BAV-Vorschlag als eine Art Mini-Liberalisierung. Wieso finden sie ihn nicht sinnvoll?
Matthias Finger: Die SBB erhält vom Bund eine langjährige Konzession für das Betreiben des Fernverkehrsstreckennetzes. Jetzt aber bricht das BAV zwei Strecken heraus und gibt sie der BLS. Das hat nichts mit Wettbewerb zu tun, das ist vom Bundesamt verordnet. Die Bahnkunden können ja nicht wählen, mit wem sie fahren wollen.
Konkurrenten werden ausschliesslich an rentablen Linien interessiert sein.
Die Aufsplitterung der einen grossen Fernverkehrskonzession unter verschiedene Anbieter entspricht nicht der Idee der Erfinder dieses Systems. Bislang hatte stets die SBB die Konzession erhalten – es ist ja auch kein anderes Bahnunternehmen dazu imstande, all die Strecken in der Schweiz zu bedienen. Wenn man nun gewisse Linien rausnimmt, muss man die Fernverkehrskonzession als Ganzes anschauen, weil darin viele Quersubventionen enthalten sind. Manche Linien sind rentabel, andere nicht. Konkurrenten werden aber ausschliesslich an rentablen Linien interessiert sein. Das bedeutet, dass der grosse Rest für die SBB weniger rentabel wird.
Was bringt der Vorschlag des BAV den Bahnkunden?
Die werden wahrscheinlich gar nichts bemerken. Sie steigen in einen Zug ein, der vielleicht eine andere Farbe hat. Aber der Zug fährt im gleichen Fahrplan auf der gleichen Strecke zum gleichen Ticketpreis, wie bisher der SBB-Zug.
Wie müsste man ein System gestalten, wenn man auf dem Schweizer Bahnnetz wirklichen Wettbewerb wollte?
Zunächst müsste man genau eruieren, was das Problem am bisherigen System ist. Kritisiert wird ja, dass es zu teuer sei und die SBB ein Monopol habe. Doch es stellt sich die Frage, ob man das Schweizer Bahnsystem in seiner heutigen Form überhaupt billiger betreiben kann. Was das BAV jetzt vorschlägt, verursacht bloss zusätzliche Kosten, weil neue Schnittstellen nötig werden.
Die BLS wollte die Paradestrecke bis nach Basel und umgekehrt ins Wallis und nach Interlaken. Doch sie hätte die nötigen Bahnwagen nicht rechtzeitig beschaffen können, deshalb will ihr das BAV bloss zwei Interregio-Strecken geben. Die BLS müsste also quasi auf Vorrat Züge einkaufen, damit sie bei der Vergabe der Konzession eine Chance hätte. Das kann sich doch nicht lohnen?
Nein. Und umgekehrt lohnt es sich auch für die SBB nicht. Diese hat die Züge für die fraglichen Strecken ja bereits eingekauft. Sie müsste diese Züge dann anders verwenden oder sie der BLS verkaufen. Das Ganze ist also eine sehr komplizierte Übung.
In allen internationalen Vergleichen ist das Schweizer Bahnsystem stets die Nummer Eins.
Kann das Schweizer Bahnnetz für die Kunden überhaupt effizienter und attraktiv betrieben werden?
Im internationalen Vergleich ist das Schweizer Bahnsystem bereits jetzt sehr effizient. Bei allen Indikatoren ist die Schweiz stets die Nummer Eins. Das Bahnnetz ist sehr dicht, stark befahren und meist pünktlich. Trotzdem kann man das System sicher noch effizienter machen – vor allem dank neuer Technologien, die es erlauben, die Mittel noch besser einzusetzen. Doch ob Pseudowettbewerbsübungen, wie sie das BAV nun plant, wirklich zur Effizienz des Systems beitragen, bezweifle ich.
Das BAV betonte, die Bewerbung der BLS habe auch den Ideenwettbewerb gefördert. So versprach die SBB Zugbegleiter und neue Verpflegungs-Angebote, weil sie plötzlich Konkurrenz von der BLS bekam. Wie beurteilen Sie diesen Teil des Wettbewerbs?
Wettbewerb und ein bisschen Druck ist immer gut. Es tut auch der SBB gut, sich einer gewissen Konkurrenz stellen zu müssen. Die Frage ist aber, welchen Einfluss der Wettbewerb auf die Gesamtkosten hat. Es gibt durchaus Beispiele in Europa, wo man auf der Schiene Wettbewerb eingeführt hat. Aber es gibt nur ganz wenige Beispiele, wo der Kunde auf langen Linien wirklich zwischen verschiedenen Anbietern wählen kann. Und noch niemand auf der Welt hat so etwas auf einem so dicht befahrenen System wie der Schweiz versucht, das im Grunde wie ein Metro- oder S-Bahnsystem funktioniert.
Das Gespräch führte Claudia Weber.