Multiple Sklerose gilt als Krankheit mit 1000 Gesichtern. Die Beschwerden sind von Patient zu Patientin verschieden. Dies zeigt sich auch im Saal der Tonhalle Zürich.
Hier treffen sich seit Anfang Februar wöchentlich MS- und Parkinson-Betroffene zum gemeinsamen Tanzen. Die einen kommen mit Krücken, andere mit dem Rollstuhl. Und wieder andere können ganz ohne Hilfe gehen.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nehmen auf Stühlen Platz, die einen Kreis bilden. In der Mitte sitzt der Cellist Mattia Zappa. Zu seiner Musik bewegt die Kursleiterin Clare Guss-West langsam ihre Arme. Die Teilnehmer machen ihr die Bewegungen nach. Sie stampfen auf dem Boden, schütteln ihre Hände aus oder drehen sich um die eigene Achse.
«Alle können tanzen, unabhängig vom Zustand ihres Körpers», ist Clare Guss-West überzeugt. Die ehemalige Profitänzerin arbeitet schon seit vielen Jahren mit Menschen, die eine körperliche Beeinträchtigung haben. «Beim Tanzen geht es in erster Linie ums gute Zuhören. Auf die Musik und den eigenen Körper.»
Einer der Teilnehmer ist Ludwig. Er sei durch seine Frau auf das Projekt aufmerksam geworden. «Zuerst wollte ich noch einen Rückzieher machen und nun bin ich so stolz, Teil dieses Projekts zu sein», erzählt Ludwig, «es ist einfach fantastisch.»
Zuerst wollte ich noch einen Rückzieher machen. Nun bin ich stolz, Teil dieses Projekts zu sein.
Auch Michele, eine andere Teilnehmerin, ist begeistert. Hier könne sie Energie tanken, locker sein und loslassen. Die Krankheit unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern sei kaum ein Thema. «Ich weiss nicht, wer Parkinson und wer MS hat. Der Mensch interessiert mich, nicht seine Krankheit.»
Ballettdirektorin mit persönlichem Bezug zu MS
Das Pilotprojekt mit dem Namen «Connect» wurde vom Opernhaus Zürich und der Zürcher Tonhalle gemeinsam lanciert. Die Idee kam von der neuen Ballettdirektorin des Zürcher Opernhauses höchstpersönlich.
Im letzten Frühling stellte sich die gebürtige Engländerin Cathy Marston dem Zürcher Publikum vor – mit dem Ballett «The Cellist». Dieses erzählt die reale Geschichte der Cellistin Jacqueline du Pré, die 1987 ihren Kampf gegen MS mit gerade einmal 42 Jahren verloren hatte.
Marston selber hat einen persönlichen Bezug zu Multiple Sklerose. «Meine Mutter hatte MS», erzählt die 49-Jährige, die bereits während ihrer Zeit am Royal Ballett in London ein ähnliches Projekt ins Leben gerufen hatte. «Ich bin überzeugt, dass Tanz und Musik das Leben von Betroffenen verändern können.»
Studien belegen positive Wirkung
Dass Tanz und Musik bei Menschen mit chronischen Nervenkrankheiten eine positive Wirkung haben können, beweisen diverse Studien.
Bewegung hat einen grösseren Einfluss als jedes Medikament.
Im Fall von Parkinson habe man festgestellt, dass sich der Zustand der Betroffenen weniger schnell verschlechterte, sagt Marianne Steitz, Neurologin am Universitätsspital Zürich, die das Zürcher Tanzprojekt mit ihrem medizinischen Fachwissen unterstützt.
«Bewegung hat einen grösseren Einfluss auf den Gesundheitszustand von Parkinson-Kranken als jedes Medikament.» Und gerade beim Tanzen können Parkinson-Betroffene das lernen, was ihnen mehr und mehr verloren geht: Koordination, Gleichgewicht und Körperstabilität.
Im Falle von Multipler Sklerose sei die Forschung noch nicht so weit wie bei Parkinson, erklärt Oberärztin Veronika Kana, Spezialistin für MS am Unispital Zürich. «Studien haben aber insbesondere positive psychologische Effekte gezeigt, welche die Lebensqualität der Betroffenen erhöht haben.»