Die Aufgabe: Bis Ende 2023 hätten Bahnhöfe und Haltestellen grundsätzlich behindertengerecht umgebaut sein müssen. Neben der SBB sind vor allem die Städte gefordert, denn für den Umbau von Tram- und Bushaltestellen sind die Strasseneigentümer verantwortlich. Allein in den grössten Deutschschweizer Städten müssen noch Hunderte Haltestellen umgerüstet werden. Und: Längst nicht alle Städte priorisieren den Umbau gleich hoch.
Die Antworten: Seit dem ersten Januar sind grundsätzlich nur noch Haltestellen gesetzeskonform, die von Menschen mit Behinderung spontan und autonom genutzt werden können. Für Menschen im Rollstuhl heisst das: niveaufrei. In den sechs grössten Deutschschweizer Städten ist aber erst ein Viertel der Haltestellen niveaufrei nutzbar. Gut die Hälfte der abgefragten Haltestellen sind nutzbar, wenn das Fahrpersonal eine Rampe auslegt und beim Ein- und Ausstieg hilft. Das ist aber laut Behindertengleichstellungsgesetz meist nicht mehr ausreichend. Bei knapp jeder fünften Haltestelle geht auch das nicht, etwa weil zu wenig Platz zum Manövrieren besteht.
Die Notlösung: Wer im Rollstuhl sitzt und eine Haltestelle gar nicht nutzen kann, hat seit Anfang Jahr Anspruch auf ein Taxi zum ÖV-Tarif. Das muss aber zwei Stunden vor der Fahrt bestellt werden und fährt dann nur bis zur nächsten Haltestelle, die nutzbar ist. Taxiunternehmen melden erst wenige Bestellungen seit Anfang Jahr. «Im tiefen einstelligen Bereich», heisst es vom Zürcher Verkehrsverbund für die Region Zürich.
Die Klassenbesten: Weit fortgeschritten ist der Umbau in den grossen Städten Zürich und Basel. 9 von 10 Haltestellen sind hier nutzbar, in Zürich etwa die Hälfte ohne fremde Hilfe. Das hängt mit den vielen Trams und den politischen Prioritäten zusammen. Trams, weil dabei die Lösung technisch einfacher ist und früher definiert war. Der Umbau konnte früher starten. Prioritäten, weil etwa Zürich regelmässig Haltestellen ausschliesslich für die Behindertengerechtigkeit umbaut und nicht auf koordinierte Strassenprojekte wartet.
Das Mittelfeld: Mehr Busse können in Bern (weniger Trams) und Winterthur (keine Trams) ein Teil der Erklärung für eine schleppende Umsetzung sein. Bern lässt zudem im März über einen Kredit von 68 Millionen Franken abstimmen für den Umbau weiterer Haltestellen. Aktuell muss dort bei jeder dritten Haltestelle das Taxi kommen. Auch alle anderen Städte geben an, den Umbau in den kommenden Jahren weiter vorantreiben zu wollen.
Die Trödler: In St. Gallen haben Betroffene bei jeder zweiten Haltestelle Anrecht auf ein Ersatztaxi. Man habe jene Haltestellen zuerst umgebaut, die oft genutzt werden, heisst es zur Erklärung. Zudem sei ein Umbau gar nicht in jedem Fall möglich, etwa weil ein hoher Absatz eine private Zufahrt blockieren würde. In Luzern muss zwar kaum das Taxi kommen, 99 Prozent der Haltekanten sind nutzbar, allerdings kaum ohne fremde Hilfe (5 Prozent). «Wir erachten den Kundennutzen als deutlich höher, wenn der Chauffeur direkt Hilfe leisten kann und nicht auf Ersatztransporte ausgewichen werden muss», sagt Pascal Ruedin vom Tiefbauamt der Stadt Luzern. Seit Anfang Jahr ist das aber nur noch gesetzeskonform, wenn ein Umbau unverhältnismässig wäre.