Aktuell rollen jede Woche 15 Bahnwaggons voller Rohethanol aufs Gelände der Alcosuisse in Schachen. Das sind 1000 Tonnen Reinalkohol. Eine Menge, die ausreichen würde, um die gesamte Schweizer Bevölkerung mit einer Alkoholvergiftung ins Koma zu schicken. Doch: Zu Schnaps wird tatsächlich nur ein ganz kleiner Teil der Flüssigkeit verarbeitet. «Ethanol braucht es für Brennsprit, Parfüms, verschiedene Lebensmittel und natürlich in der Pharmaindustrie», sagt Simon Häfliger, Betriebsleiter von Alcosuisse in Schachen im Kanton Luzern.
Wegen Corona systemrelevant
Alcosuisse ist der grösste Ethanol-Lieferant der Schweiz. An seinen Standorten in Delémont JU und Schachen LU verfeinert er Rohethanol, das aus anderen europäischen Ländern und aus Übersee in die Schweiz importiert wird. Die aktuelle Ladung kam von Brasilien über Rotterdam nach Schachen. Ethanol aus Schweizer Produktion gebe es aktuell nicht, heisst es bei Alcosuisse, man sei aber dran, gewisse Optionen zu prüfen.
Mit dem in Schachen und Délemont verfeinerten Ethanol werden dann verschiedenste Industrien versorgt. Der Ethanol-Lieferant tut dies seit über 100 Jahren, ohne dass die Öffentlichkeit gross was davon mitbekommen hätte. Mit dem Beginn der Coronakrise änderte sich dies. Die gesteigerte Nachfrage nach Desinfektionsmittel bedeutete nämlich auch eine gesteigerte Nachfrage nach Ethanol. Alcosuisse zählte plötzlich zu den systemrelevanten Betrieben und nahm bei der Bewältigung der Krise eine zentrale Funktion ein.
Fehlende Pflichtlager
Ohne Störgeräusche wuchs der Betrieb nicht in diese neue Aufgabe hinein – während der ersten Welle im Frühling kam es zu Lieferengpässen. Grund dafür: Der Bund entschied sich im Jahr 2018, sein Ethanol-Pflichtlager von 10’000 Tonnen aufzuheben. Er tat dies im Zuge der Privatisierung der Ethanol-Produktion, die 2018 erfolgte. Davor war Alcosuisse noch ein Bundesbetrieb.
«Die Pflichtlager wurden entgegen unserer Empfehlungen aufgehoben», verteidigt Simon Häfliger seine Firma. Überbrücken mussten die Engpässe trotzdem vor allem er und seine acht Mitarbeitenden. Häfliger erinnert sich: «Die Tanks waren so leer, dass man den Boden durchschimmern sehen konnte.»
Die Angestellten von Alcosuisse schoben Woche für Woche Überstunden – nur so liess sich die gesteigerte Nachfrage ohne Pflichtlager bewältigen. «Wir spürten, dass wir nun in der Verpflichtung sind. Meine Mitarbeitenden leisteten Enormes, darauf bin ich stolz», sagt der Betriebsleiter.
Neues Pflichtlager
Mittlerweile hat sich die Ethanol-Nachfrage auf einem hohen Niveau eingependelt. Die 1000 Tonnen Rohethanol, die jede Woche mit 15 Bahnwaggons aufs Gelände der Alcosuisse rollen, werden innert kürzester Zeit verarbeitet und weiterverkauft.
Aufgrund dieses hohen Verbrauchs und der schlechten Erfahrungen vom Frühling liess der Bund wieder ein provisorisches Pflichtlager an Ethanol anlegen. Als Übergangslösung baut Alcosuisse aktuell eine Reinalkohol-Reserve von rund 6000 Tonnen auf. «Das ist nicht ganz einfach», sagt Häfliger, «wir sind nicht die einzigen, die mehr Ethanol als sonst brauchen». Dass dieses Pflichtlager auch über die Krise hinaus beibehalten wird, dafür setzen sich verschiedene nationale Parlamentarier ein. Der Boden der Tanks soll nie mehr durchschimmern.