Darum geht es: Das Rahmenabkommen von 2018 sollte vor allem Streitpunkte lösen, die der EU ein Anliegen waren. Dazu gehörten die Fragen zur Streitbeilegung oder zur dynamischen Anpassung an neues EU-Recht. 2024 wurden diese Fragen auch verhandelt. Aber dazu kamen inhaltliche Fragen, die der Schweiz wichtig waren: die Beteiligung an EU-Programmen zur Forschung etwa, ein neues Abkommen im Strombereich oder die Aktualisierung bestehender Abkommen. Die EU ihrerseits brachte Forderungen etwa zum Bahnverkehr oder zum Kohäsionsbeitrag ein.
Drohkulisse: Fragen wie die Streitbeilegung sind nicht mehr einmal (im Rahmen) für alle Abkommen geregelt, sondern mehrfach, in jedem Abkommen einzeln. Damit entfällt die sogenannte Super-Guillotine, eine Drohkulisse. Hätte Bern das frühere Rahmenabkommen unterzeichnet und später gekündigt, wären viele weitere Abkommen hinfällig geworden. Mit den neuen Verträgen ist der Preis weniger hoch, wenn sich die Schweiz dereinst aus einzelnen Verträgen zurückziehen sollte.
Europäischer Gerichtshof:
Er spielt auch im neuen Abkommen eine Rolle. Überall dort, wo die Schweiz am EU-Binnenmarkt mitmacht, entscheidet der EuGH über Binnenmarkt-rechtliche Fragen. Darauf hat man sich in den Sondierungen geeinigt. Die Schweiz konnte immerhin kleine Verbesserungen herausholen: Über Ausnahmen von Binnenmarktrecht soll alleine das Schiedsgericht entscheiden.
Direkte Demokratie: Hier gibt es wenig Bewegung. Die Schweiz verpflichtet sich, Weiterentwicklungen im Binnenmarktrecht zu übernehmen, wenn sie via Abkommen am Binnenmarkt teilnimmt. Im Gegenzug darf sie bei der EU-Rechtsentwicklung mitreden (nicht mitentscheiden). Parlament oder Stimmvolk können die Übernahme von neuem Recht ablehnen. Dann dürfte die EU-Seite künftig Ausgleichsmassnahmen im Bereich der Marktzugangsabkommen ergreifen.
Zuwanderung und Unionsbürger: Bern hat sich in den Sondierungen zusichern lassen: Kriminelle EU-Ausländer darf sie auch künftig in den meisten Fällen ausschaffen. Das Abkommen von 2018 hätte das verhindert. Ausnahmen gibt es auch bei der Einwanderung in die Sozialwerke. Weil in den letzten Jahren viele Menschen zugewandert sind, forderte Bern eine Schutzklausel – die EU antwortete mit Forderungen für ihre Studierenden. Ganz zum Schluss hat die EU ein Entgegenkommen versprochen. Wie es genau aussieht und wie stark es die Zuwanderung effektiv beeinflusst, zeigt erst das Verhandlungsergebnis.
Lohnschutz: Die EU hat seit 2018 neue Regeln für Arbeitskräfte im Ausland erlassen. Die Anwendung ist EU-weit uneinheitlich. Die EU verlangt aber, dass die Schweiz ihre Spesenregel übernimmt – Gewerkschaften befürchten, das führe zu Lohndumping. Immerhin: Die Schweiz soll allfällige Verschlechterungen beim EU-Lohnschutz künftig nicht mittragen müssen (Nicht-Regressionsklausel). Kritiker fürchten, das reiche nicht.
Weitere Änderungen: Beschränkungen für staatliche Beihilfen sollen neu für weniger Abkommen gelten. Und die Schweiz erhält eine Zusicherung zur Teilnahme an EU-Programmen, etwa bei der Forschung. Nicht absichern konnte der Bundesrat offenbar das bestehende Kooperationsmodell im Bahnverkehr. Neu wird sich die Schweiz zudem vertraglich verpflichten, einen Kohäsionsbeitrag an ärmere EU-Staaten zu leisten, in dreistelliger Millionenhöhe pro Jahr. Bisher war der Beitrag freiwillig und tiefer.