Diese Verhandlungen mit der Schweiz seien wohl die kompliziertesten, die er je geführt habe, sagte der für die Schweiz zuständige EU-Kommissar Maros Sefcovic. Zur Erinnerung: Der Vizepräsident der EU-Kommission ist auch für die Beziehungen zum Vereinigten Königreich nach dem Brexit zuständig. Auch keine einfache Sache.
Zwei Kulturen treffen aufeinander
Mit den Eidgenossen ist es kompliziert, weil sich da zwei Verhandlungskulturen am Tisch wiedertreffen. Auf der einen Seite die EU: ein Klub von 27 Ländern, die zwar zusammen geschäften wollen, aber selten Freunde sind. Ausgehandelt wird, wo man gleicher Meinung ist – vieles bleibt im Graubereich. Dieser Ansatz stösst auf Schweizer Präzision. Verhandelt wird möglichst detailliert. Böse Überraschungen gilt es um jeden Preis auszuschliessen – also keine Graubereiche.
Die kulturellen Differenzen komplizieren die Lösungsfindung. Ein Beispiel ist die dynamische Rechtsübernahme. Die Schweiz verspricht, wo nötig, das Schweizer Recht laufend dem EU-Recht anzupassen. Dazu gehört auch die gegenseitige Anerkennung von Normen und Standards. Ein künstliches Schweizer Hüftgelenk, hergestellt nach Schweizer Norm, darf auch in der EU vertrieben werden. Schweizer Prüfstandards entsprechen europäischen Prüfstandards.
Weniger Wein in fast gleichen Flaschen
Wenn es nun um Alkohol in Flaschen geht, wird es knifflig. Seit 1975 haben sich die EU-Staaten nämlich darauf verständigt, dass eine Normweinflasche mit genau 0.75 Liter gefüllt ist. Nötig war diese Normierung wegen französisch-britischer Differenzen. Auf der Insel wurden imperiale Gallonen von 4.55 Litern mit Wein gefüllt, auf dem Festland nur republikanische Liter. Also einigte man sich darauf, dass 225 Liter einem Fass von 50 Gallonen entspricht oder 300 Flaschen à 0.75 Liter.
Ein Problem für die Schweiz: Sie muss der EU in diesem Dossier eine Ausnahme abringen. Hintergrund sind der waadtländische Pot, Demi-Pot und das Picholette, ein Standard des Kantons Waadt aus dem Jahre 1822. Demnach umfasst ein Krug Wein, un pot, 1.4 Liter, ein Demi also 0.7 Liter, nicht 0.5 Liter.
Das freut Schweizer Discounthändler, weil diese eine Flasche Waadtländer Weisswein Demi-Pot im Regal neben die grössere europäische Normflasche stellen können. Preislich wirkt die Schweizer Weinflasche attraktiver. Von Auge ist jedoch kaum zu erkennen, dass da weniger Wein drin ist.
Schweiz setzt sich für ihre Flaschen ein
Dieses Weinbauern-Trickli müssen die Schweizer Unterhändler gegenüber der mächtigen EU nun rechtlich absichern. Auch Sonderwünsche wollen erfüllt sein.
Um diesen Job sind die Diplomatinnen nicht zu beneiden. Sie können sich aber sicher sein, dass sie im Bundesrat auf Verständnis stossen. Bundesrat Guy Parmelin, zuständig für Wirtschaft, Bildung und Forschung, war schliesslich einmal Winzer im Waadtland.