Die grösste Baustelle – das Gesundheitswesen: Den Spitälern fehlt es an Ärztinnen und Ärzten sowie an Pflegepersonal. Die Gesundheitskosten steigen – analog die Krankenkassenprämien. Politologe Adrian Vatter von der Universität Bern sagt dazu, Alain Berset sei es in jüngster Zeit tatsächlich nicht gelungen, die Kosten in den Griff zu bekommen. Allerdings sah das zuvor in seiner Amtszeit noch besser aus, gerade bei den Prämien.
Eine frühe Niederlage war die wuchtig verworfene Managed-Care-Vorlage. Es war Bersets erste Vorlage als Gesundheitsminister und sah vor, dass sich Patientinnen und Patienten mit freier Arztwahl stärker an den Kosten beteiligen sollten. Auch die nur schleppende Digitalisierung im Gesundheitswesen ist eine Last, die Berset seinem Nachfolger oder seiner Nachfolgerin überlässt.
Die prägendste Zeit – der Coronamanager: Alain Berset bezeichnete die Covid-Zeit als intensiv und äusserst schwierig – eine «brutale Pandemie». Politologe Vatter stellt ihm grundsätzlich ein positives Zeugnis für diese Zeit aus. Im internationalen Vergleich sei die Schweiz mit wenig Einschränkungen durch die Pandemie gekommen – im ökonomischen Vergleich gut bis sehr gut, mit Bezug auf das Gesundheitswesen zumindest mittel bis gut, so Vatter. Berset war aber auch eine polarisierende Figur – Orientierungsfigur für die einen, gehasst von den anderen, insbesondere den Massnahmengegnern.
Schwierige letzte Jahre – die Skandale: Erpressung durch eine Ex-Geliebte, ein missglückter Ausflug als Pilot, zuletzt die Corona-Leaks-Affäre – die Rücktrittsforderungen haben sich in letzten Zeit gehäuft. Für Adrian Vatter kommt der Rücktritt von Alain Berset zum «letztmöglichen Zeitpunkt». Gerade bei den Corona-Leaks wisse man nicht, was bei der Untersuchung der GPK noch zum Vorschein komme. Der Politologe vermutet, dass Berset nun vorsichtshalber den Rücktritt erklärt hat: «Es war quasi eine Affäre zu viel.» Ansonsten hätte eine Situation entstehen können, die für ihn – den man lange als «Teflon-Bundesrat» bezeichnet hat – schlussendlich nicht mehr haltbar gewesen wäre.
Der selbstgewählte Zeitpunkt – der Abschied: Formal betrachtet ist es kein Rücktritt, Alain Berset tritt zur neuen Legislatur nicht mehr an. Das sei durchaus als Erfolg zu werten, so Adrian Vatter. Berset sei weiterhin voll im institutionellen Prozess dabei, das streiche er auch selber heraus. So könne man Berset auch keinen Vorwurf machen, dass er während einer Legislatur zurückgetreten ist, was in den letzten Jahren gehäuft bei Bundesrätinnen und Bundesräten vorgekommen sei.
Die schwierige Nachfolge – die Baustellen: Es sind Dossiers aus dem EDI, die der Bevölkerung am meisten Sorgen bereiten: die Gesundheitskosten und die Finanzierung der AHV. Letztes Jahr wurde zwar die AHV-Reform knapp angenommen, die Finanzierung ist vorübergehend gesichert. Laut Politologe Vatter ist aber klar, dass spätestens 2030 eine Finanzierungslücke eintreten wird.
Die Frage, wie eine Kostendämpfung bei den Krankenkassenprämien erreicht werden kann, wird den Nachfolger oder die Nachfolgerin von Alain Berset ebenfalls stark fordern. Diese Probleme kann eine Person zudem nicht selber lösen – gefragt ist laut Politologe Adrian Vatter ein sehr guter Manager und Vermittler mit profunden Kenntnissen, wie das sehr komplexe Gesundheitswesen funktioniert.