Zum Inhalt springen

Brisantes Gutachten In Basel tritt Kampfstoff aus den Wänden

Gefährlich und gesundheitsschädigend – so stufen Experten die Substanz ein, die in einem Gebäude im Basler Klybeck-Areal gefunden wurde.

Es ist Mai 2021, als Luftmessgeräte in der ehemaligen Farbstofffabrik K-90 im Klybeck-Areal in Basel ausschlagen. Die Ingenieure stossen dreimal auf Trichlornitromethan in der Luft, bekannt als chemischer Kampfstoff unter dem Namen Chlorpikrin. Ein Nerven- und Lungengift, das die Atemwege schädigen kann. Genutzt im Ersten Weltkrieg, gemäss der US-Regierung auch von den Russen im Ukrainekrieg. Russland bestreitet dies.

Ein Stoff, der schon in geringen Mengen gefährlich ist, wie das Bundesamt für Gesundheit bestätigt: «Chlorpikrin ist als sehr giftig beim Einatmen eingestuft. In Wohn- und Aufenthaltsräumen sollten keine Belastungen der Raumluft mit diesem Stoff vorkommen.» Doch im Bau K-90 in Basel kommt er vor.

Investoren organisieren Events trotz Schadstoffen

Martin Forter, Altlastenexperte und Geschäftsführer der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz, sagt: «Das Chlorpikrin hat sich offensichtlich stark in die Wände, Böden und Decken eingefressen und dampft von dort ab. Ein sehr gefährlicher Stoff. Zuerst spürt man Reizungen der oberen Atemwege, in höheren Konzentrationen schädigt es die Lunge massiv.»

Es sei nicht anzunehmen, dass in Basel je Kampfstoff produziert worden sei, so Forter. Der Stoff sei vermutlich bei der Produktion von Farbstoffen eingesetzt worden.

Innenansicht eines mehrstöckigen Gebäudes mit Glasdach.
Legende: Innenaufnahme des Gebäudes K-90: In diesen Fabrikräumen wurden von den 1950er-Jahren bis 2011 Farbstoffe produziert. Keystone GEORGIOS KEFALAS

Hinweise, dass die Farbstofffabrik belastet ist, gab es schon früher. 2018 schreibt ein Ingenieurbüro in einer Untersuchung von Schadstoffen im Gebäude und dass es bei einem Teil der Involvierten zu einer «schwachen Reizung der Atemwege» gekommen sei. Als die Chemiefirmen BASF und Novartis ihr Areal verkaufen wollen, informiert die BASF gemäss internem Bericht des Kantons, dass es beim Bau K-90 einen Altlasten-Hotspot gebe.

Dennoch öffnet die neue Besitzerin Swisslife das Gebäude für Veranstaltungen und Führungen: etwa 2022 an den Open House Basel. Da sind die Schadstoffexperten längst auf das Chlorpikrin gestossen.

Altlastenexperte kritisiert Vorgehen von Swisslife

Box aufklappen Box zuklappen

Altlastenexperte Frank Karg, der auch am diesjährigen Altlastensymposium des Bundes referierte, wundert sich: Bevor man einen solchen Bau öffne, müsse man Raumluft, Bodengas, Boden, Grundwasser und das Gebäude auf Schadstoffe untersuchen. «Ein erfahrener Industrieller, etwa in der Pharmaindustrie, würde sowas nie machen. Die würden vorher alles erkunden. Nur ein Finanz- oder Immobilieninvestor tappt in diese Falle», sagt Karg.

Erkannt wird der Stoff allerdings erst im Frühling 2023. «Tatsächlich wurde beim Nachweis von Trichlornitromethan nicht erkannt, dass es sich um den im Ersten Weltkrieg verwendeten Kampfstoff Chlorpikrin handelte», schreibt ein Gutachter 2023.

Swisslife schliesst das Gebäude: Zutritt nur noch mit Schutzanzug, Schutzbrille und Atemschutzmaske.

Swisslife spricht von «keiner Gefährdung»

Geschlossen habe man das Gebäude im Rahmen einer «periodischen Überarbeitung des Sicherheitskonzepts», schreibt Swisslife in einer Stellungnahme. «Messungen haben ergeben, dass an spezifischen Orten gewisse Schadstoffbelastungen bestehen. In drei Proben wurde Trichlornitromethan im Screening identifiziert, jedoch in einer Konzentration, die als nicht besorgniserregend eingestuft wird.»

Das hätten fundierte Abschätzungen ergeben. «In der Vergangenheit fanden in einzelnen Teilen des K-90 vereinzelt kurzzeitige Veranstaltungen und Führungen statt. Aufgrund der kurzen Aufenthaltszeit und der zahlreichen Berichte sowie zusätzlichen Untersuchungen, die Swisslife aus den letzten Jahren vorliegen, hat für Teilnehmende dieser Veranstaltungen keine Gefährdung bestanden.»

Swisslife möchte ein Dutzend Gebäude auf dem Areal abreissen. Die Farbenfabrik K-90 ist nicht darunter. Die Schadstoffuntersuchungen zu den Gebäuden, die abgerissen werden sollen, sind noch unter Verschluss. Gemäss Behörden umfassen sie um die 1000 Seiten.

Rundschau, 13.11.2024, 20:10 Uhr

Meistgelesene Artikel