- In einem Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung» zieht Ignazio Cassis Bilanz mit seinem Jahr als Bundespräsident.
- Er sieht es als seine Aufgabe an, die Beziehungen zur EU weiter zu verbessern.
- Die Schweizer Hilfen an die Ukraine sieht Ignazio Cassis in einem äusserst positiven Licht.
Ignazio Cassis erklärt bereitwillig, er habe im Aussendepartement bleiben wollen. Er könne sich vorstellen, dass ihn einige Bundesratsmitglieder um den Posten zwar nicht beneiden, aber nun sei nicht der richtige Augenblick für einen Wechsel. Der scheidende Bundespräsident führt aus, er habe sich in den vergangenen fünf Jahren ein grosses Netz an persönlichen Beziehungen aufgebaut, diese solle man jetzt nicht einreissen.
Ich erachte es als meine Pflicht, meine Aufgabe zu Ende zu bringen.
Mehr als einmal habe Cassis daran gedacht, das Departement zu wechseln, aber: «Ich erachte es als meine Pflicht, meine Aufgabe zu Ende zu bringen.» Denn trotz schwieriger Aufgabe sieht der 61-Jährige eine positive Dynamik in der Zusammenarbeit mit der EU. Beide Seiten würden pragmatisch nach Lösungen suchen. Diesen Prozess wolle er mit viel Energie und voller Kraft weiterführen.
Der Rahmenvertrag bleibt die Diskussionsbasis
Ein Problem in den Verhandlungen mit der EU stellt das Stromdossier dar. Allerdings sei man auch hier auf einem guten Weg. Während die Schweiz eine Liberalisierung ablehne, nehme die Europäische Union mit der Zeit zunehmend eine ähnliche Position ein. Es sei aber weiterhin der Plan, ein Rahmenvertrag zu vereinbaren und nicht einzelne Themen auszulassen.
Sollte man Garantien und für sensible Politikbereiche Ausnahmeregelungen zugesprochen erhalten, wäre man aus Schweizer Sicht eher einigungsbereit, meint Cassis. Der Rahmenvertrag sei dazu die Basis für Diskussionen. Es wäre unrealistisch, ein neues Modell für die Streitbeilegung zu erwarten.
Wenn man wirtschaftlich weiterhin eng mit der EU verbunden sein möchte, verbleibe nur die Option einer Güterabwägung. Ignazio Cassis will dabei aber nicht von Souveränitätsverlust sprechen. Bereits jetzt würde man EU-Recht ohne Einfluss auf die Ausgestaltung übernehmen, künftig könnte man klare Mitwirkungsrechte erhalten. Auf einen Zeitplan für die weiteren Gespräche oder allfällige neue Verhandlungen will sich Cassis aber nicht festlegen.
Die Rolle der Schweiz im Ukraine-Krieg
Die Schweiz habe sich im Krieg in der Ukraine sehr solidarisch gezeigt. Neben den grossen finanziellen Hilfen der Schweizer Bevölkerung und des Bundes streicht Cassis infrastrukturelle Hilfen heraus. Man unterstütze unter anderem bei der Stromversorgung, beim Internet und der Reparatur von Häusern. Das Schweizer Engagement sei auch bei der Ukraine-Konferenz in Paris gewürdigt worden.
Nach dem Scheitern des Versuchs einer Neuausrichtung des Neutralitätsbegriffs sieht Ignazio Cassis dieses Thema keineswegs als abgehakt an.
Obschon man im Bundesrat am Status Quo festhalten möchte, sei entscheidend, dass man die Sicherheitspolitik künftig kooperativer ausgestalten wolle als bis anhin. In der Aussenpolitik sei dies mit den mitgetragenen EU-Sanktionen gegenüber Russland bereits gelungen.