Wer ist der grössere Landwirtschaftsschreck, Jon Pult oder Beat Jans? Verspricht der Basler oder der Bündner Dialekt bessere Wahlchancen? Wann haben die beiden Bundesratskandidaten zum letzten Mal geweint? Das alles war jüngst Thema in den Schweizer Medien. Die Bundesratswahlen vom kommenden Mittwoch bekommen viel Raum in der Berichterstattung. Zu viel, sagt Medienforscher Linards Udris. Zu dieser Erkenntnis kam er bereits 2015 in einer Studie.
SRF News: Warum fokussieren die Medien so stark auf Bundesratswahlen?
Linards Udris: Bundesratswahlen waren nicht immer ein grosses Thema in den Medien. Wir haben in unserer Studie von 2015 die Berichterstattung seit den 1960er-Jahren bis in die 2010er-Jahre angeschaut. Am Anfang kamen die Bundesratswahlen kaum in den Medien vor. Das hat dann immer stärker zugenommen.
Die Medien könnten einen Teil ihrer Ressourcen und ihrer Energie anderen Themen widmen.
Ein wichtiger Grund dafür ist, dass sich die Medien ein Stück weit kommerzialisiert haben. Und bei kommerzialisierten Medien ist es wichtig, dass ein Thema attraktiv ist, dass es um Köpfe und Drama geht. Dazu scheinen sich diese Bundesratswahlen zu eignen.
Das haben Sie 2015 in Ihrer Studie festgestellt. Was hat sich in den acht Jahren seither verändert?
Das hat sich nicht grundsätzlich verändert. Dieser Trend lässt sich immer noch beobachten. Das ist eine Art «Horse-Race-Journalismus», bei dem es darum geht, wer gewinnt, wer verliert. Ein Nachteil dieses Journalismus ist, dass damit die Sachpolitik ein Stück weit in den Hintergrund gerät.
Link zur Studie
Es gibt verschiedene Arten von Medien. Beim Boulevard zum Beispiel gehört diese Personalisierung seit jeher zum Stil. Wie unterscheidet sich die Berichterstattung dort zum Beispiel im Gegensatz zu Qualitätsmedien?
Boulevardmedien, dazu gehören auch Pendlermedien, weisen generell eine geringere Qualität auf. Dort haben die Bundesratswahlen eine noch grössere Bedeutung als in stärker qualitätsorientierten Medien. Wir haben aber in dieser Langzeitstudie auch gesehen, dass Bundesratswahlen auch in den Boulevardmedien nicht von Anfang an ein grosses Thema waren. Auch dort gab es eine Tendenz dahin, dass Bundesratswahlen immer wichtiger wurden. Mit einer gewissen Verzögerung wurden die Wahlen dann auch in Qualitätsmedien immer wichtiger.
Bundesrätinnen und Bundesräte verkörpern auch ein Stück weit ihre Parteien. Die Parteien suchen die Kandidierenden sorgfältig aus. Ist es da nicht legitim oder sogar nötig, dass wir Medien auch auf sie fokussieren? Wenn wir die Komplexität der politischen Alltagsgeschäfte reduzieren, damit die Menschen es auch verstehen?
Ja, eine gewisse Personalisierung und Komplexitätsreduktion ist okay. Wir wissen aus anderen Studien, dass eine Berichterstattung, die sehr stark auf diese Ränkespiele fokussiert, bei einem Teil der Bevölkerung zu einer gewissen Apathie oder zu einem Zynismus führen kann. Es kann ein Bild der Politik entstehen, dass es dort nur um diese Ränkespiele geht. Und das lässt die Leute ein bisschen machtlos zurück, denn sie können nicht wirklich darauf einwirken. Dann wäre es wahrscheinlich geschickter oder zielführender, man würde eine gewisse Personalisierung oder Komplexitätsreduktion vielleicht auch eher mal bei Sachthemen machen.
Wie bewerten Sie den heutigen Medienrummel um diese anstehende Bundesratswahl?
Ich sehe den kritisch. Ich finde, da ist zu viel Rummel. Die Medien könnten einen Teil ihrer Ressourcen und ihrer Energie anderen Themen widmen.
Das Gespräch führte Amir Ali.