«Keine Strafe ohne Gesetz» – dieser Grundsatz gilt auch in Coronazeiten. Das hielt der Richter am Bundesstrafgericht fest, als er Ende Oktober eine Frau freisprach.
Sie war Anfang April von Deutschland her in die Schweiz gefahren und hatte Einkäufe dabei. Eine Grenzbeamtin beschied ihr, der Einkaufstourismus sei verboten, sie müsse die Waren zurück nach Deutschland bringen. Die Frau weigerte sich, dies zu tun, sie hatte sich über die rechtliche Lage informiert und sah keinen Grund für die Anweisungen der Zöllnerin. Später erhielt die Frau Post von der Bundesanwaltschaft; es war ein Strafbefehl mit einer Busse.
Einkaufstourismus war noch erlaubt
Sie wehrte sich dagegen, mit Erfolg. Zwar sprach sie der Richter am Bundesstrafgericht aus anderen Gründen frei, äusserte sich aber im mündlich erfolgten Urteil auch zur zur Rechtsgrundlage. Gemäss Wortprotokoll sagte er, die Covid-19 Verordnung 2 des Bundesrates, die den Verkehr an der Grenze ab Anfang April eindämmte, habe den Einkaufstourismus damals noch nicht verboten. Das tat der Bundesrat erst später.
Die Eidgenössische Zollverwaltung beschloss aber, den Einkaufstourismus sowie Ausflüge ins Ausland ab Anfang April zu unterbinden, in Absprache mit dem zuständigen Bundesrat Ueli Maurer. Das geht aus dem Gerichtsprotokoll hervor. Diese Praxis sei mit einem geheimen Einsatzbefehl dem Personal an der Grenze so mitgeteilt worden.
«Kabinettsjustiz»
Die Verteidigung habe im Plädoyer von «Kabinettsjustiz, die selbst in Krisenzeiten keinen Platz in einem Rechtsstaat habe» gesprochen, zitierte der Richter gemäss Protokoll.
Das Gericht formulierte es diplomatischer: «Unter Berücksichtigung des Grundsatzes ‹keine Strafe ohne Gesetz› kann der Beschuldigten vorliegend nicht zum Vorwurf gemacht werden, sie hätte eine interne mündliche Regelung auf der Basis eines vertraulichen Einsatzbefehls der Eidgenössischen Zollverwaltung kennen und akzeptieren müssen, wenn diese Änderungen und neuen Weisungen am besagten Datum noch gar nicht kodifiziert waren.»
Damit steigen die Chancen, dass 56 weitere hängige Fälle, die die Praxis der eidgenössischen Grenzbehörde im Frühling betreffen, von einem Gericht gutgeheissen werden.
Die Grenzbeamten verteilte im Frühling rund 9000 Bussen, auch an Personen mit Schweizer Pass oder Wohnsitz in der Schweiz, obwohl ihnen laut bundesrätlicher Verordnung die Einreise weiterhin explizit erlaubt war.
GPK-Bericht fast fertig
Die fragwürdigen Aktivitäten der Grenzbehörde haben die Geschäftsprüfungskommission GPK des Parlamentes aufhorchen lassen. Sie untersucht, ob die Zollverwaltung während der Zeit der Grenzschliessung rechtmässig gehandelt hat und hat dazu unter anderem den Chef der eidgenössischen Zollverwaltung, Christian Bock, angehört.
FDP-Ständerat Matthias Michel, Präsident der zuständigen Subkommission, erklärt: «Wir haben verschiedene Befragungen gemacht, und haben auch unsere Juristinnen und Juristen gefragt. Wir sind mit dem Bericht praktisch fertig. Den werden wir aber im Frühjahr noch der gesamten GPK unterbreiten.»
Im kommenden Frühjahr soll der Bericht auch publiziert werden, so Michel. Er soll neben den rechtlichen Fragen, auch klären, wer für das im Bundesstrafgerichtsurteil beschriebene Fehlverhalten der Zollverwaltung verantwortlich ist.
Dieser Artikel wurde am 14.12.2020 geändert.