Pierre-Yves Maillard, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), kündigte bereits vor einem Monat an, die Pensionskassenreform nicht akzeptieren zu wollen. Woher diese Opposition kommt, erklärt er im Gespräch.
SRF News: Herr Maillard, heute wurde drei Stunden um einen Kompromiss in der BVG-Reform gerungen. Sie wollen diesen Kompromiss nicht mittragen. Warum nicht?
Pierre-Yves Maillard: Mit diesem Kompromiss bezahlen die Arbeitnehmenden und die Arbeitgeber zwischen zwei und drei Milliarden Franken mehr Lohnbeiträge und sie bekommen keine Rentenverbesserungen. Für viele Leute werden die Renten sogar sinken.
Es gibt dazu ganz unterschiedliche Berechnungen. Die «NZZ» hat am Wochenende eine Übersicht publiziert, in der man sieht, dass die Renten bei einigen steigen würden, bei einigen sinken, und bei der grossen Mehrheit würden die Renten gleich bleiben.
Das alles kostet zwei bis drei Milliarden Franken. Will man eine solche Übung machen für kleine Rentenerhöhungen für Personen, die wahrscheinlich sowieso Ergänzungsleistung beanspruchen müssen? Das Versprechen war: keine Rentensenkungen, Verbesserungen für die kleinen Löhne und für die Frauen und auch Solidarität in der Finanzierung. Jetzt haben wir nichts von diesen Versprechungen.
Das Ziel dieser Reform war, bessere Renten für Tieflöhner, für die Frauen, für Teilzeiterinnen zu bekommen. Sie wollen das jetzt offenbar nicht.
Wir haben einen Kompromiss mit dem Arbeitgeberverband gemacht, der vom Bundesrat übernommen wurde. In diesem Kompromiss waren die Verbesserungen für die kleinen Löhne mit einem solidarischen Beitrag finanziert. Jetzt müssen diese Personen selber ihre kleinen Rentenverbesserungen bezahlen. Das heisst: Ihre Nettolöhne werden sinken.
Politik heisst ja nicht, dass wir gezwungen sind, ‹ja› zu einem schlechten Projekt zu sagen.
Dazu gibt es unterschiedliche Zahlen. Dieser Kompromiss, den Sie erwähnen, der wurde vor zwei Jahren beschlossen. Seit eineinhalb Jahren ist klar, dass er keine Chance hat.
Politik heisst ja nicht, dass wir gezwungen sind, «Ja» zu einem schlechten Projekt zu sagen. Wir können nicht den Leuten mit tieferen Löhnen sagen, ihr müsst jetzt eine Nettolohn-Senkung von zwei oder sogar vier Prozent in Kauf nehmen, um vielleicht in 20 oder 30 Jahren eine bessere Rente zu haben.
Da sind wir doch beim Problem. Die Bürgerlichen sagen: «Sie wollen die zweite Säule gar nicht stärken, Sie wollen nur die erste Säule stärken.»
Die Bürgerlichen können sagen, was sie wollen. Noch einmal: Wir haben ein Projekt mit dem Arbeitgeberverband, das sind ja nicht Linke. Wir haben gemeinsam, als Sozialpartner, einen Kompromiss verhandelt, wir haben Konzessionen gemacht. Und jetzt sagen die Bürgerlichen: «Wir wollen das nicht.» Warum? Nur, weil es im Kompromiss eine gewisse Solidarität zwischen den Reichen und dem Mittelstand gab. Deswegen haben die bürgerlichen Parteien das Projekt geändert.
Sie haben das Referendum vor einem Monat angekündigt, bevor das Geschäft in der Kommission des Nationalrats war, bevor es heute diskutiert wurde. Sie wollten das Gesetz einfach abschiessen, egal was jetzt diskutiert wurde.
Wir haben gehofft, dass der Ständerat zurück zum Vorschlag des Bundesrats kommen würde. Dann hätten wir einen gewissen Spielraum gehabt. Aber der Ständerat wollte das nicht, und jetzt haben wir nur schlechte Lösungen.
Wenn Ihr Referendum erfolgreich ist, das Volk die Reform des BVG ablehnt: was dann?
Am selben Tag, wahrscheinlich im März 2024, werden wir über eine 13. AHV-Rente für alle abstimmen. Das kostet zwischen drei und vier Milliarden Franken. Das ist unsere Lösung.
Die Leute werden also die Wahl haben.
Bei der anderen Abstimmung sagen die Bürgerlichen, man soll zwei bis drei Milliarden mehr investieren für schlechtere Renten oder stabile Renten. Die Leute werden also die Wahl haben.
Das Gespräch führte Urs Leuthard.