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«Cassis ist geschwächt»: Die Reaktionen auf Livia Leus Rücktritt
Aus Rendez-vous vom 10.05.2023. Bild: KEYSTONE/Peter Schneider
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Chefunterhändlerin mit EU geht «Immer wenn es ein Problem gibt, wechselt das EDA das Personal»

Die politischen Reaktionen auf den Rücktritt von Livia Leu fallen gemischt aus – von der SP gibt es heftige Kritik.

Es ist ein abrupter Abgang. Für manche Spitzenpolitiker aber kommt er nicht ganz unerwartet. SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi beobachtet seit Längerem inhaltliche Differenzen: Livia Leu sei in den Sondierungsgesprächen mit der EU «zu hartnäckig» gewesen für den Bundesrat – zu wenig bereit, Brüssel entgegen zu kommen in Streitpunkten wie etwa der Rolle des EU-Gerichtshofes.

«Leus Abgang könnte damit zusammenhängen, dass Bundesrat Cassis oder sogar der Gesamtbundesrat sie dazu gedrängt hat, ihre Positionen aufzuweichen», sagt der SVP-Nationalrat. «Dazu zeigt sie aber keine Bereitschaft.»

«Positive Dynamik» im EU-Dossier?

Auch FDP-Aussenpolitiker Hans-Peter Portmann vermutet, dass sich Leu und Aussenminister Ignazio Cassis nicht einig waren. Leu habe in Brüssel die Haltung des Gesamtbundesrats vertreten. «Das heisst: Eher verzögern und eher keine Kompromisse eingehen. Das war nicht unbedingt die Taktik des Aussenministers.» Portmann wünscht sich – anders als die SVP – Tempo bei den Gesprächen zwischen Bern und Brüssel.

Bundesrat Cassis ist geschwächt. Man kann es nicht mehr wirklich ernst nehmen, wenn er Ergebnisse verspricht.
Autor: Roger Nordmann Nationalrat (SP/VD)

Negativ überrascht reagiert Fraktionschef Roger Nordmann auf den Abgang von Livia Leu. Bundesrat Cassis habe vor weniger als drei Jahren erst Leus Vorgänger Roberto Balzaretti ausgewechselt. Auch ihn nach nur wenigen Jahren im Amt. «Das ist ein grosser Rückschlag. Immer wenn es ein Problem gibt, wechselt das EDA das Personal aus, statt das Problem anzupacken und zu lösen», sagt Nordmann.

Zurückhaltende Reaktionen im EU-Parlament

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Abgeordnete im EU-Parlament haben sich zurückhaltend zum Rücktritt von Staatssekretärin Livia Leu geäussert. Lediglich beim konservativen EU-Abgeordneten Andreas Schwab schwang leise Kritik am Bundesrat mit. Der aus dem süddeutschen Raum stammende Schwab, Vorsitzender der Delegation für die Beziehungen zur Schweiz, meinte auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA, er wünsche Frau Leu alles Gute. Er hoffe, dass sie in ihrer neuen Position «konstruktiver arbeiten kann und darf».

Der aus Österreich stammende Lukas Mandl sagte, es sei «voll und ganz der Schweiz anheimgestellt, zu entscheiden, wer für sie verhandelt.» Er könne nur empfehlen, «immer die parlamentarische Dimension einzubeziehen». Der ebenfalls konservative Mandl hat im Auftrag des EU-Parlaments einen Bericht zur Beziehung Schweiz-EU erstellt, der voraussichtlich im September vom EU-Parlament verabschiedet werden soll.

Ende März hatte der Bundesrat von einer «positiven Dynamik» in den Gesprächen mit der EU gesprochen. SP-Fraktionschef Nordmann traut dem nicht und kritisiert Aussenminister Cassis: «Er ist geschwächt. Man kann es nicht mehr wirklich ernst nehmen, wenn er Ergebnisse verspricht. Die Kommunikation der letzten Wochen scheint eine PR-Übung gewesen zu sein.»

Der Bundesrat hat einen sehr ambitiösen Zeitrahmen gesetzt – das dürfte mit dieser Demission schwieriger werden.
Autor: Pirmin Bischof Ständerat (Mitte/SO)

Diesen Monat noch soll die zurücktretende Staatssekretärin Leu die nächsten Gespräche mit Brüssel führen – und in weniger als zwei Monaten möchte der Bundesrat Eckwerte für ein Verhandlungsmandat vorlegen. Skeptisch wie der SP-Fraktionschef ist auch Mitte-Aussenpolitiker Pirmin Bischof.

Aussenminister Cassis unter Druck

Auch wenn Leu noch bis Ende August bleibe: Jetzt werde es viel kniffliger, sagt der Ständerat: «Sie sollte in Brüssel einerseits noch die nötige Durchschlagskraft haben. Andererseits hat der Bundesrat einen sehr ambitiösen Zeitrahmen gesetzt. Beides dürfte mit dieser Demission schwieriger werden.»

Ignazio Cassis fürchtet – vielleicht auch zu Recht – um seine Wiederwahl und scheint um jeden Preis ein Abkommen präsentieren zu wollen.
Autor: Thomas Aeschi Nationalrat (SVP/ZG)

Wer auf Leu folgt, ist noch offen. SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi will gar kein Abkommen mit der EU – und befürchtet, dass jetzt ein Europa-Turbo zum Zug komme. «Die Befürchtung ist, dass der Nachfolger viel eher bei den Schweizer Positionen nachgeben könnte. Ignazio Cassis fürchtet – vielleicht auch zu Recht – um seine Wiederwahl.» Der Aussenminister scheine nun um jeden Preis ein Abkommen präsentieren zu wollen, so Aeschi weiter. «Auch wenn dabei Schweizer Interessen verletzt werden.»

Man hörts bei Thomas Aeschi: Wir sind im Wahljahr. Der oder die Neue an der Spitze der Schweizer Diplomatie übernimmt in einer innen- und europapolitisch schwierigen Phase – und wird unter einem Aussenminister arbeiten, der politisch unter Druck ist.

Rendez-vous, 10.05.2023, 12:30 Uhr

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