Die Chefunterhändlerin der Schweiz bei der EU will nicht mehr: Staatssekretärin Livia Leu tritt zurück und wird künftig als Botschafterin in Berlin tätig sein. Das hat der Bundesrat bestätigt. Der Abgang kommt zu einem heiklen Zeitpunkt. Denn noch ist nicht klar, wie die Zusammenarbeit mit der EU weitergehen soll. FDP-Aussenpolitiker Hans-Peter Portmann erklärt, welche Folgen Leus Demission für das EU-Dossier hat – und wer auf die scheidende Chefunterhändlerin folgen könnte.
SRF News: Was bedeutet der Rückzug von Livia Leu für die Verhandlungen mit der EU?
Hans-Peter Portmann: Aus Sicht der EU-Zentrale in Brüssel ist es nicht ideal. Man hat sich dort an Livia Leu gewöhnt, so wie man früher auch sehr gut mit ihrem Vorgänger Roberto Balzaretti zusammengearbeitet hat. Ich gehe davon aus, dass die Sondierungsgespräche Ende Mai abgeschlossen sein werden. Damit wird Leu ihren Auftrag erledigt haben.
Laut verschiedenen Quellen bestehen seit längerem Meinungsverschiedenheiten zwischen Livia Leu und Aussenminister Ignazio Cassis. Diese sollen nun zu ihrem Abgang geführt haben. Warum konnten Bundesrat Cassis und seine wichtigste Diplomatin ihre Meinungsverschiedenheiten nicht überwinden?
Ich werte dies eher als Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundesrat Cassis und dem Gesamtbundesrat. Leu hat von Anfang an die Haltung des gesamten Gremiums mitgetragen und in Brüssel vertreten: Eher verzögern und keine Kompromisse eingehen, stattdessen neu starten und neue Forderungen stellen. Das war ihre Taktik – die nicht unbedingt jene des Aussenministers war.
Es ist leider die Problematik im EU-Dossier: Der Bundesrat und jedes einzelne Departement reden hinein.
Mit seiner Haltung stand Cassis viele Monate alleine im Bundesratsgremium. Es hat seine Fahne nun aber in eine andere Windrichtung gesetzt und Cassis hat damit recht bekommen. Für Leu wird es dann aber schwierig, die Verhandlungen zu führen, wenn ein Mandat vorliegt.
Wer wäre aus Ihrer Sicht die beste Nachfolgerin oder der beste Nachfolger für Leu?
Wenn man das könnte, würde ich Herrn Balzaretti zurückholen. Er war einer der besten Unterhändler, den wir je hatten. Er wurde damals vom Gesamtbundesrat geschasst. Es ist leider die Problematik im EU-Dossier: Der Bundesrat und jedes einzelne Departement reden hinein. Verschiedenste Parteiangehörige – insbesondere die SP – haben die nationalen Wahlen vor Augen und sind nicht für Kompromisse bereit.
Nun drängt sich aber Alexandre Fasel auf. Er ist ehemaliger Botschafter in London und kennt die Brexit-Verhandlungen bestens. Fasel wäre deshalb sehr geeignet, die Verhandlungen mit der EU nach dem Bundesratsmandat zum Abschluss zu bringen.
Was braucht der Nachfolger, damit die Verhandlungen mit der EU wieder in Fahrt kommen?
Er braucht die Einsicht, dass er selber nicht mehr sehr viel inhaltlich bewegen kann. Die Sondierungsgespräche werden zu einem Ergebnis kommen, bei dem ziemlich klar ist, in welche Richtung es in den kritischen Bereichen gehen muss. Hier hat man die Lösungen bereits aufgezeichnet. Aus meiner Sicht wird das Ende Mai bekannt gegeben. Danach geht es nur noch darum, dies in ein Vertragswerk einfliessen zu lassen.
Der Schaden ist bereits gross und wir müssen ihn jetzt begrenzen.
Wir müssen bis im Frühling nächsten Jahres zu einem Abschluss der Verhandlungen kommen. Denn danach werden eine neue EU-Kommission und ein neues EU-Parlament übernehmen – und wir warten wieder drei, vier Jahre, bis wir weiterkommen. Das kann sich die Schweiz, die Schweizer Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung und Bildung nicht länger erlauben. Der Schaden ist bereits gross und wir müssen ihn jetzt begrenzen.
Das Gespräch führte Dominik Rolli.