«Es ist wie eine Ohrfeige!» Anja R. dachte zuerst, der Brief ihrer Ausgleichskasse sei ein schlechter Scherz. Bis sie realisierte: Es ist bitterer Ernst. 2.40 Franken pro Tag bekommt die Besitzerin eines Ladens in Romanshorn als Corona-Erwerbsersatzentschädigung. Für die Zeit, in der sie ihren Laden schliessen musste. «Das sind gerade einmal 72 Franken im Monat», sagt sie. Gerechnet hat sie mit rund 66 Franken im Tag.
Das Gleiche erlebte Lars P.. Der selbstständige Veranstaltungstechniker bekommt 12 Franken pro Tag – anstatt der erwarteten 83 Franken. «Im allerersten Moment, als ich den Brief in der Post gesehen habe, freute ich mich und ich dachte: «Jetzt bekommst du Bescheid!» Die Ernüchterung folgte auf dem Fuss: «Zuerst dachte ich, der Betrag von 468 Franken wäre für eine Woche. Dann sieht man, nein, das ist für 39 Tage!»
Basis: Hinterlegtes Einkommen
So wie Anja R. und Lars P. geht es aktuell Hunderten von Selbständigerwerbenden in der Schweiz. Die Corona-Entschädigung des Bundes macht nur einen Bruchteil dessen aus, was erhofft wurde. Das Problem: Die Ausgleichskassen müssen die Hilfe nicht auf Basis des tatsächlichen, versteuerten Einkommens berechnen. Sondern es gilt das sogenannte hinterlegte Einkommen als Basis.
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Das hinterlegte Einkommen legt jeder Selbständige zu Beginn seiner Tätigkeit fest und teilt dies seiner AHV-Ausgleichskasse mit. Aufgrund der Angaben erstellt die Ausgleichskasse eine provisorische Akontorechnung. Die tatsächliche Rechnung wird dann nachgereicht, wenn die Daten vom Steueramt mit dem tatsächlichen versteuerbarem Einkommen vorliegen. Muss nachgezahlt werden, verrechnet die Ausgleichskasse fünf Prozent Verzugszins.
«Am Ende ist alles bezahlt»
Viele Selbständige leben gut mit dieser Lösung. «Ich zahle die AHV-Beiträge Ende Jahr, weil mein Geschäft ein saisonales ist. Den Verzugszins nehme ich in Kauf», sagt Lars P.. Und auch Anja R. hat sich so arrangiert. «Fakt ist, am Ende ist alles bezahlt», sagt sie.
In der Coronakrise gereicht es ihnen nun zum Nachteil. Denn das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) hat die Ausgleichskassen in einem Kreisschreiben angewiesen, beim Corona-Erwerbsersatz auf das hinterlegte Einkommen zurückzugreifen.
Für Ueli Kieser, Professor für Sozialversicherungsrecht an der Universität St. Gallen, geht das nicht: «Die Ausgleichskassen müssen zwingend immer das aktuellste Einkommen nehmen. Aktuell das von 2019. Das steht in der Verordnung drin und das muss umgesetzt werden.» Auch wenn es im Kreisschreiben etwas anderes heisse. Das entspreche nicht der Verordnung, so Professor Kieser.
«Man kann nachschieben»
Das BSV argumentiert, es bestehe eine Mitwirkungspflicht. Das heisst: Die Selbstständigen müssen sich melden, wenn sie mehr verdienen. Doch auch dieses Argument lässt Ueli Kieser nicht gelten. Die Meldepflicht existiere, das sei so. Da aber über Sanktionen nichts in der Verordnung stehe, können man aus dem Nicht-Melden nicht etwas Nachteiliges ableiten. «Man kann auch später noch nachschieben», sagt Professor Kieser.