Singen ausserhalb der Familie ist zurzeit verboten. Damit will der Bundesrat die Corona-Pandemie eindämmen. Vom Verbot ausserhalb der Familie sind einzig die obligatorischen Schulen ausgenommen – aber nicht sonstige Betreuungsangebote wie Kitas oder Nachmittagsbetreuung.
Dabei ist das Singen für die Entwicklung der Kinder erwiesenermassen sehr wichtig. Estelle Thomet vom Verband Kinderbetreuung Schweiz zeigt Verständnis für die Massnahme, kann aber die Unterscheidung in Schule und Kitas nicht nachvollziehen.
SRF News: In den Schulen darf gesungen werden, in den Kitas nicht. Ist das für Sie nachvollziehbar?
Estelle Thomet: Die Unterscheidung zwischen Schule und Kindertagesstätte können wir nicht nachvollziehen. Beides sind Bildungseinrichtungen. Klar ist allerdings, dass es jetzt ein Singverbot braucht.
Der Bundesrat begründet den Entscheid damit, dass Singen zum obligatorischen Lehrplan gehört. Die Schulen müssen sich daran halten, Kitas nicht. Können Sie diese Begründung verstehen?
Wir sind in einer Pandemie. Offenbar ist diese zurzeit so schlimm, dass man das Singen verbieten muss, weil singen die Tätigkeit ist, bei der die Ansteckungsgefahr besonders hoch ist. Das schränkt die Freiheiten vieler Menschen ein. Dass man das Singen in der Schule aber höher gewichtet, nur weil es im Lehrplan ist, können wir nicht ganz nachvollziehen. Es wäre wahrscheinlich erklärbarer zu sagen: Es ist so gefährlich zu singen, dass es nirgendwo mehr gemacht werden soll.
Wie gehen die Kitas mit dem Singverbot um?
Es ist ja nicht so, dass in den Kitas oder Tagesfamilien und schulergänzenden Betreuungen bis jetzt immer gesungen wurde. Wir wissen ja bereits seit Monaten, dass Singen eine grosse Ansteckungsgefahr bildet. Deshalb haben wir als Verband bereits im Sommer alle Institutionen aufgefordert, auf die klassischen Singkreise zu verzichten.
Da arbeiten Fachpersonen, die sind äusserst kreativ und finden Lösungen.
Wenn noch gesungen wurde, dann unter strengen Schutzmassnahmen. Viele haben schon längst Alternativen zum klassischen Singen gefunden, machen zum Beispiel einen «Verslikreis» am Morgen, oder nehmen sich auf beim Singen und zeigen das den Kindern, oder sie zeigen den Eltern die Lieder aus der Kita. Sie müssen keine Angst haben: Da arbeiten Fachpersonen, die sind äusserst kreativ und finden Lösungen.
Heisst das, das Singverbot ist keine grosse Einschränkung für die Kitas?
Das möchte ich so nicht sagen, natürlich ist das ein grosser Verlust. Singen ist eine freudige und pädagogisch sehr wertvolle Tätigkeit. Wenn die wegfällt, ist das äusserst schade. Aber wir sind in einer Krise, und wir müssen alle zusammenhalten und auf ganz viel verzichten. Und wenn das halt so ist, dass Singen besonders ansteckend ist, dann gehen wir damit so um und singen halt nicht mehr.
Wenn ein Kind beginnt zu Singen – wird das unterbunden oder darf es dann weitersingen?
Ich glaube, bei jedem Verbot und jeder Regel gilt noch das Verhältnismässigkeitsgebot. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass man ein Kind, das ein bisschen für sich trällert, sein lässt. Was verboten ist, ist das gemeinsame Singen. Sollten wirklich mehrere Kinder einstimmen, gibt es immer noch die Möglichkeit, die Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken. Aber ich gehe wirklich nicht davon aus, dass die Betreuungspersonen anfangen, sich als Polizistinnen und Polizisten aufzuführen und die Kinder zurechtzuweisen. Das kann sich auch kein Mensch vorstellen, dass das gewollt war.
Das Gespräch führte Manuel Ramirez.