In der Schweiz steigen die Corona-Fallzahlen in diesen Tagen markant an. Aktuell liegen rund 300 Menschen mit Covid-19 auf Intensivstationen. Die Erfahrung zeigt: Wer schwer an Covid erkrankt ist, muss nach dem Spital oft monatelang in die Reha. Beispielsweise ins Rehab Basel. Chefärztin Margret Hund-Georgiadis begleitet Long-Covid-Patienten auf ihrem langen Weg zurück ins Leben – und schildert ihre Erfahrungen in eindrücklichen Worten.
Die Intensivstation haben die Patientinnen und Patienten verlassen, doch der Kampf mit Covid ist noch lange nicht vorbei. Teilweise sind sie noch von der Beatmungsmaschine abhängig, wenn sie in die Klinik eingeliefert werden:
Es sind Menschen, die die Intensivstation eigentlich als Sieger verlassen haben. Aber es sind gebeutelte, geschwächte Sieger. Sie arbeiten mit der Hälfte ihrer Lungenkapazität, haben viel Gewicht verloren.
Das Bewusstsein über Long Covid wurde mit jeder Welle grösser, die Therapien besser. Nach der zweiten, dritten Welle gab es tatsächlich etwas weniger Anmeldungen von schwer betroffenen Patienten, erinnert sich die Chefärztin.
Die Hoffnung, dass wir diese schweren Verlaufsformen sehr viel weniger sehen, haben sich wieder zerschlagen. Seit letzten Oktober sind kontinuierlich sechs bis sieben Long-Covid-Patienten bei uns.
In der Regel sind die geschwächten Patienten wach, manchmal haben sie Orientierungsstörungen: Ihnen fehlt das Zeitgefühl, sie können die Geschehnisse nicht einordnen, befinden sich in einem Delirium. Erwischen kann es jeden:
Als Optimist mag man mit dem Spruch durchs Leben gehen: ‹Das passiert anderen und nicht mir.› Damit könnte man auf die Nase fallen.
Jeder Krankheitsverlauf ist individuell. Gemeinsam ist den Long-Covid-Patienten in der Rehab Basel, dass sie körperlich nicht belastbar sind:
Wir sind damit beschäftigt, dass sie ohne Sauerstoff die Treppe hochkommen und irgendwie ihren Alltag wieder zurückzuerobern. Viele Patientinnen und Patienten sind in der Hirnleistung verlangsamt und denken nicht so schnell. Sie haben das Ermüdungsphänomen der Fatigue.
Die ersten Schritte zurück ins Leben sind buchstäblich schwer. Schon bei kleinsten Anstrengungen geht die Sauerstoffsättigung runter:
Die Betroffenen fahren mit dem Sauerstoffgerät durch die Klinik. Oftmals sind die ersten Schritte nur mit einer Prozession von Therapeuten möglich.
Wer vor seiner Erkrankung in einer guten körperlichen Verfassung war, hat bessere Chancen. Aber: Auch sportliche Menschen verlieren laut Margret Hund-Georgiadis zehn, fünfzehn Jahre ihrer Fitness, sind geschwächte Menschen:
Die Leute sagen: ‹Früher konnte ich einen 2000er hochklettern. Heute ist der Weg zum Briefkasten ein Abenteuer.›
Im Reha-Alltag geht es bewusst in kleinen Schritten vorwärts. Die Patientinnen und Patienten werden langsam wieder an eine moderate Belastung gewöhnt:
Die Leute, auch die fitten, sind bei 15 Prozent ihrer körperlichen Verfassung von vor der Erkrankung. Es hilft nichts, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen.
Inzwischen habe sich gezeigt, dass die Betroffenen auch nach einem Jahr noch nicht annähernd an ihrem ursprünglichen Leistungsniveau angelangt seien:
Wir schaffen es bei all unseren schweren Post-Covid-Fällen, dass sie sich nach einem Jahr wieder selbst zuhause versorgen können. Sie sind aber oftmals überhaupt noch nicht arbeitsfähig und belastbar. Sie sind noch nicht in ihrem alten Leben angekommen.
Die Chefärztin der Reha-Klinik kann nicht verstehen, dass es immer noch Menschen gibt, die das Coronavirus als harmlos abtun. Und ruft auch skeptische Menschen dazu auf, sich impfen zu lassen:
Wenn Sie sich ins Auto setzen, dann legen Sie auch den Sicherheitsgurt an – obwohl Sie denken, Sie sind der beste Fahrer und Ihnen wird schon nichts passieren. Genauso ist es mit dem Impfen: Das muss man einfach präventiv machen und diese Spritze über sich ergehen lassen.
Tagtäglich ist die Ärztin mit Menschen konfrontiert, die ihre Covid-Erkrankung zwar überlebt haben, aber noch lange an den Spätfolgen der Krankheit leiden werden. Sie wünscht sich, dass die Gesellschaft im Angesicht der Pandemie zusammenrückt:
Der eine verweist auf die Politik, der andere auf die Wissenschaft, der Dritte gibt den Spitälern die Schuld. Das ist für mich verschwendete Energie. Jeder soll seine Verantwortung übernehmen – das ist für mich Freiheit wahrnehmen.