Die Schwingerwelt will es wieder wissen. Am Wochenende werden die 274 besten Schwinger der fünf grossen Verbände ins Sägemehl von Pratteln geschickt, um am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest (ESAF) den Schwingerkönig der Schweiz auszuschwingen. Wer antritt, musste sich vorher an den wichtigsten Schwingfesten des Landes beweisen, den jährlichen Kantons-, Teilverbands- und Bergkranzfesten.
An diesen Festen treffen Einheimische auf eingeladene Gast-Schwinger. Derweil wird auf den Tribünen geschnupft, getrunken und gestritten. Eine der umstrittensten Fragen ist dabei so alt wie der Sport selbst: War die Einteilung des Kampfgerichts fair – oder wurde ein wenig gemischelt?
Um diese Frage zu beantworten, haben SRF Data und das Basler Onlinemedium «Bajour» eine aufwändige Datenanalyse unternommen. Die Analyse belegt erstmals: Wenn ein Schwingklub eines Teilverbands ein Fest durchführt, werden nicht alle Schwinger gleich behandelt. Die Schwinger des Heimverbands haben es leichter bis zum Kranz und Muni, die Gäste systematisch schwieriger. Es ist ein System mit Ansage. Und fast alle sind gleich davon betroffen.
Stein des Anstosses: die Einteilung
Die Frage nach der fairen Einteilung sorgt immer wieder für rote Köpfe, zuletzt etwa am Bergkranzfest auf dem Stoos. Der Grund dafür ist eine Eigenheit des Schwingsports.
Im Gegensatz zu den transparenten Spielplan-Regeln vieler Sportarten ist es beim Schwingen so, dass vor jedem Gang (Kampfrunde) ein Gremium aus drei bis sechs sogenannten Einteilern entscheidet, wer als Nächstes gegen wen schwingen muss. Das Gremium besteht mehrheitlich aus Männern jenes Verbands, auf dessen Gebiet das Fest stattfindet. Ihr Auftrag ist es, auf der Basis der aktuellen Zwischenrangliste möglichst ausgewogene Paarungen zu bilden. Die Entscheide finden in einem Raum unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Transparenz darüber, wie die Paarungen zustande kommen, gibt es keine.
Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass es nach Einteilungen immer wieder zu Diskussionen kommt. Der Vorwurf lautet meistens, dass das Einteilungsgremium die Schwinger des eingeladenen Gastverbandes benachteilige – und ihnen mit besonders schwierigen Gegnern ein besonders hartes Programm aufdrücke. Und im Umkehrschluss: Die Schwinger des Heimverbandes bevorteile und ihnen besonders leichte Gegner zuteile. Quasi ein herbei gemischelter Heimvorteil.
SRF-Schwingkommentator Stefan Hofmänner ist der Vorwurf bekannt. Auch er habe gelegentlich Schwingfeste erlebt, die durch die Einteilung «eine Dynamik angenommen haben.» Doch das sei eher selten der Fall.
Geht es um den Muni, wird unfairer eingeteilt
Gibt es diesen Heimvorteil jetzt wirklich? Um das herauszufinden, haben SRF Data und «Bajour» rund 40’000 Kämpfe aus rund 150 grossen Schwingfesten seit 2016 analysiert. Dabei wurde ein spezieller Algorithmus verwendet, um möglichst exakt das aktuelle Niveau eines Schwingers während eines Festes und bei jedem Gang zu messen.
So war es möglich auszuwerten, ob zwei eingeteilte Schwinger aktuell auf Augenhöhe kämpfen – oder ob ein Gegner deutlich stärker oder schwächer ist – und die Einteilung tendenziell unfair.
Das Resultat der Analyse zeigt: Gast-Schwingern, die in den Gängen drei bis fünf noch eine Chance haben, in den Schlussgang zu kommen, werden tendenziell schwierigere Gegner zugeteilt als einheimischen Schwingern in derselben Situation. Damit bestätigt sich das ungeschriebene Gesetz: Wenn es um den Einzug in den Schlussgang geht, legt man den Gästen besonders harte Brocken in den Weg.
Von dieser Praxis scheinen die Einteilungsgremien aller Teilverbände Gebrauch zu machen. Das zeigt sich auch im Programm der Schwinger auf den Spitzenrängen. Die folgende Grafik zeigt Bergkranz- und Teilverbandsfeste seit 2017 als Punkte und verortet sie auf zwei Achsen:
- Oben nach unten (Y-Achse): der durchschnittliche Notenblatt-Score der Gast-Schwinger. Er rechnet das Notenblatt (d.h. das Programm eines Schwingers) auf Basis eines von SRF entwickelten Punktesystems zusammen. Je höher der Score, desto schwieriger waren die eingeteilten Gegner.
- Links nach rechts (X-Achse): der durchschnittliche Notenblatt-Score der verbandsinternen Schwinger.
- Die Linie, die sich von links unten nach oben rechts zieht, markiert die Augenhöhe. Je näher ein Punkt an dieser Linie ist, desto gleicher wurden an diesem Fest Interne und Externe eingeteilt. Die Feste unterhalb der Linie benachteiligten die besten internen Schwinger im Schnitt eher, bei den Festen oberhalb der Linie bekamen die Gäste im Schnitt die schwierigeren Gegner zugeteilt.
Ein Sport, der Kultur bleiben will
Für Schwingexperten, Kritiker und hartgesottene Fans ist das der Beweis für ein Gerücht, das immer wieder heiss diskutiert wird und zuweilen auch als «ungeschriebenes Gesetz» bezeichnet wird.
Viele sind der Meinung, man dürfe es den Gästen auch ein wenig schwerer machen. Doch wie schwierig – da scheiden sich die Geister. Tatsächlich gibt es keine Regel dafür, wo ein schwieriges Programm beginnt und ein unverhältnismässig hartes Programm aufhört. So kann es vorkommen, dass dem einheimischen Top-Schwinger ein deutlich schlechterer Gegner zugeteilt wird, dem auswärtigen Top-Schwinger dagegen ein sehr guter. Ein wenig ist das so, als wenn bei der Qualifikation zum Final des olympischen 100-Meter-Sprints der eine Läufer nur 95 Meter sprinten müsste – der andere 105 Meter.
Mein Vorschlag wäre, dass in Zukunft an diesen Schwingfesten, vor allem an den Bergfesten, von jedem Teilverband gleich viele Leute in der Einteilung sitzen.
Von den aktiven Schwingern wird verlangt, dass sie ohne zu murren die Einteilung akzeptieren – egal, wie fair oder unfair sie ist. Gleichzeitig wachsen die kommerziellen Interessen. Die bekanntesten Gesichter bekommen lukrative Werbeaufträge – über zwei Millionen Franken verdienten Schwinger 2021 durch Werbung und Sponsoring – und der Druck auf den Schwingsport, transparenter und damit fairer zu werden, steigt.
Diskussionen zur Einteilung wird es immer geben, aber das gehört zum Schwingsport dazu.
Der ehemalige Profischwinger und SRF-Kommentator Matthias Sempach forderte etwa kürzlich, dass die Zusammensetzung des Einteilungsgremiums ausgeglichener werde – vor allem an den prestigeträchtigen Bergfesten.
ESV sieht keinen Handlungsbedarf
Stefan Strebel, der technische Leiter des Eidgenössischen Schwingverbandes (ESV) und damit so etwas wie der Herr des Regelwerks, hält wenig von Sempachs Vorschlag – und von der SRF-Datenanalyse: «Das System, wie wir es haben, ist zeitgemäss. Die Männer, die in den Einteilungsgremien sitzen, sind so ausgebildet, dass sie alle fair behandeln. Dass externe Schwinger anders behandelt werden als interne, glaube ich nicht. Wir werden das aber aufnehmen und diskutieren.»
Für das ESAF muss sich Strebel wohl wirklich keine Sorgen machen. Da das ESAF nach anderen Regeln funktioniert als die Teilverbands- und Bergkranzfeste, und auch beim Einteilungsgremium jeder Verband gleich vertreten ist, ist eine unfaire Einteilung eher unwahrscheinlich. Für alle anderen Feste ist jetzt belegt: Wenn es um den Muni geht, haben es die Gäste schwerer.